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Kritik: Street Art - Legenden zur Straße

Nicht nur Bilder sonder vor allem wissenschaftlich fundierte Texte prägen das neue Buch von Katrin Klitzke und Christian Schmidt über Streetart. Das funktioniert - aber nicht für jeden.

Es geschah um die Jahrtausendwende herum, dass sich in Berlins Straßen neben Graffiti, Tags und - seien wir ehrlich - alltäglichen Schmiereien etwas Neues zeigte. An den Wänden spross plötzlich eine andere Art von Kunst, auf Wände geklebte ausgeschnittene Figuren und Menschen sowie Installationen, die auf eigentümliche Art und Weise in ihre Umgebung passten und doch einen neuen Blickwinkel auf sie erlaubten. Schnell war ein Begriff für diese neue Kunstform der Straße gefunden: Streetart hatte nun auch Berlin erobert. Viel ist über Streetart gesagt und geschrieben worden. Sie galt als der neue Hype, sie wurde "in" und fand sich schon bald auch in den Galerien wieder. Und stand vor einem Problem: Aus der natürlichen Umgebung - der Straße - herausgerissen, stellte sich die Frage noch deutlicher als zuvor: Was ist Streetart? Und was ist Streetart nicht?

Dieser Frage will das Herausgeberpaar Katrin Klitzke und Christian Schmidt in "Street Art - Legenden zur Straße" auf den Grund gehen. Ähnlich vielfältig wie sich die Werke der Künstler an den Wänden und Ecken präsentieren, geben die beiden den verschiedensten Ansätzen von Wissenschaftlern Raum. Ausgerechnet Wissenschaftler sollen das Phänomen von Außen betrachtet erklären? Doch das Konzept funktioniert. In der Form von Essays widmet sich eine Reihe junger Wissenschaftler je nach Fachgebiet dem Objekt "Streetart". Vertreten sind Soziologie, Geographie, Kunstgeschichte und viele mehr. Auf 225 Seiten entsteht so ein Überblick von „Wie authentisch ist Street Art in einer Galerie?“ über die Ver- und Einbindung in die Werbung bis zu Gedankenspaziergängen durch Berlin. Doch auch Kunstwerke und Eindrücke aus London und New York werden in dem Band aufgegriffen.

Streetart als reines Wissenschaftsthema von außen zu betrachten, klingt zunächst als würde man der lebendigen Kunst die Luft zum Atmen nehmen, sie festschreiben und sie ihre Weiterentwicklung und damit Existenz zerstören. Doch die Ansätze sind vielfältig und gehen weit über eine reine Beschreibung hinaus. Was aus der lebendigen Streetart ein staubtrockenes Panorama hätte machen können, wird auch durch die zweite Ebene des Buches in eine lebendige Diskussion verwandelt. Klitzke und Schmidt gelang es, auch Streetartists für das Buch zu gewinnen. Die selbstreflektierenden Texte der Künstler, die von einem „Street Art Musical“ bis zu Gedichten und Mini-Zeitungen reichen, sichern dem Leser einen Blick hinter die Kulissen. "Legenden zur Straße" bietet das Buch dann also in doppelter Hinsicht. Zum einen in Form von wissenschaftlichen Essays als Legende für den Außenstehenden; zum anderen die Legenden der Künstler.

Trotz des grundsätzlich wissenschaftlichen Ansatzes kommen auch Fotos nicht zu kurz. Das geht bis zu dem nicht ganz gelungenen Versuch den Stop-Motion-Film „Flaneur“ von „GOULD“ in Bildern darzustellen. Ein Video ist dann doch immer noch etwas ganz anderes. Zudem bleiben die Bilder oft unkommentiert und auch der genaue Ort ihrer Existenz bleibt ein Geheimnis. Das ist insofern schade, da sich das Buch explizit nicht (nur) an Akademiker wendet und der Street-Interessierte dann doch kaum die Chance hat, sich die Kunstwerke und/oder ihre Überbleibsel vor Ort anzusehen. In den Texten wiederum wird teilweise von Kunstwerken gesprochen, die nicht abgebildet sind. Eine glorreiche Ausnahme sind die „Gedankenspaziergänge“, die Bild, Ort und Text großartig verbinden. Hier wiederum wäre eine Karte ideal gewesen, die jedem Ortsunkundigen oder Street-Art-Unkundigen bei der Suche nach den Bildern geholfen hätte.

„Street Art – Legenden zur Straße“ ist ein ambitioniertes Buch mit Stärken und Schwächen. Den Herausgebern gelingt es, verschiedene Ansätze der Diskussion um Streetart aufzuzeigen, doch definitive Antworten bleiben ob der Kürze der Texte aus. Das Buch bietet für beinahe jeden Leser etwas, der sich durch die ersten, doch recht wissenschaftlichen Essays wühlt. Noch nie was von Streetart gehört? Banksy ist ein Fremdwort? Hier gibt es einen Überblick. Wer bereits Fan ist, wird neue Perspektiven entdecken. Auf der Suche nach einem Magisterarbeitsthema? Hier gibt es Ansätze. Wer jedoch wissen will, wo sich welches Kunstwerk befindet oder befand, ist mit diesem Buch falsch beraten. Und auch für solche, die in Streetart = Graffiti = Schmierereien = Vandalismus sehen, hat das Buch kaum was zu bieten. Es sei denn einen Einblick in eine neue Sichtweise von Kunst, was grundsätzlich ja auch nichts Schlechtes ist.

Street Art - Legenden zur Straße, Hg: Katrin Klitzke, Christian Schmidt, Archiv der Jugendkulturen, 26. Juni 2009

Janina Guthke

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