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Kroatischer Romana: Grillen im Kopf

Kroatische Adoleszenz: „Kalda“ von Edo Popovic. „Moslems sind Bosnier, deren Pimmel beschnitten ist“.

Es riecht nach Hühnersuppe und gebratenen Hähnchen; Männer in weißen Unterhemden sitzen in Gärten, hören Wünsche und Grüße und Fußballübertragungen im Radio. Abends ziehen sie ihre Perlonhemden an, und wenn die Glocken der Kirche des heiligen Mihovil zur Abendmesse rufen, gehen sie in die Gaststätten, die „Zu den drei Eichen“ oder „Bosna“ heißen, um ein Bier zu trinken und eine Runde Karten zu spielen.

„Ausfahrt Zagreb-Süd“ hieß der Roman, der Edo Popovic über die Grenzen seiner kroatischen Heimat hinaus berühmt gemacht, mit dem er sich in eine Reihe mit Robert Altmans „Short Cuts“, Douglas Couplands „Generation X“ oder Ingo Schulzes „Simple Storys“ gestellt hat. Während Popovic damals seine Protagonisten in einem Getto namens Utrine ansiedelte und dabei einer ganzen Generation eine literarische Stimme verlieh, ist in seinem neuen Roman vornehmlich die eines einzigen Mannes zu vernehmen. „Kalda“ heißt er wie das Buch, das seine Lebensgeschichte erzählt, die geprägt ist vom urbanen Panorama Zagrebs und dem jähen Zerbrechen „moderner“ Familiarität, die eine Umbruchzeit beschwert, eine Zeitenwende, ein eigentümliches Dazwischensein.

Ein junger Mann aus dem Arbeiterviertel Dubrava, der den Vater fragt, was „Balija“ bedeutet und die Antwort bekommt, das sei ein Moslem, „und ein Moslem ist ein Bosnier, der einen beschnittenen Pimmel hat“; dem der Vater abhandenkommt; der aber meint, andere Probleme zu haben, „Titten, zum Beispiel“: Das ist die Lage pubertärer Personnage, die mit sich selbst klarzukommen versucht. Man verschafft sich mit einem Ziegelstein Respekt auf der Straße, reibt die kokette Schönheit von nebenan „mit Wasser“ ein, man masturbiert und schweigt.

Popovics Erzählhaltung ist unprätentiös, persönlich, auch retrospektiv. Während Kalda in der Erzählgegenwart mit Nachkriegsdepression, verpfuschter Existenz und schleimiger seidengelber Spucke, durchwoben von roten Äderchen und Flecken, nur schwerlich zu existieren vermag, „sprudeln“ die Erinnerungen, wenn jemand nur „einen einzigen Knoten löst“. Der Radius solchen Erzählens verlässt nie die Bannmeile der Subjektivität, diesem „Zelt aus Leder“, das „über die Knochen“ gespannt worden ist. Bisweilen betrachtet Kalda sein Spiegelbild ganz genau; es ist kein Zufall, dass er ein Fotograf wird, der sich anfangs noch gegen den „Medienfaschismus“ wehrt und dann doch den Krieg fotografiert, später die Ruinen serbischer Häuser.

Joseph Roth hat als 36-Jähriger einen solchen Erzähler einen „Beobachter“ und „Sachverständigen“ genannt, dessen Werk „niemals von der Realität gelöst, sondern in Wahrheit (durch das Mittel der Sprache) umgewandelte Realität“ ist. Die sich in ein junges Leben oft schmerzlich eingrabende Wirklichkeit findet sich in Edo Popovics „Kalda“ wieder. Mit rotem Kopf und glühenden Ohren, stumm und rau, wie es einst der „dirty realism“ in Szene gesetzt hat, macht er sich im Hotel „Zlaté Píesky“ an einer Hure zu schaffen – und verliert seine Unschuld.

Deutlich übernimmt ein Zungenschlag die Führung, für den Edo Popovic seit der Gründung der wichtigsten Literaturzeitschrift Kroatiens, „Quorum“, seit seinen Romanen „Mitternachtsboogie“ und „Der Traum der gelben Schlangen“ so bekannt ist; es lässt sich nicht verbergen, dass Kaldas Leben, seine Gewalt- und Drogenerfahrungen, seine Begegnungen mit der Unterwelt, mit Uniformierten und Kalaschnikows, schließlich mit dem Krieg, dass sich dieses Leben aus verpassten Gelegenheiten, falschen Schritten und – „noch schlimmer“ – neuen Chancen zusammensetzt.

Ein grobschlächtigeres Erwachsenwerden als dieses ist kaum denkbar: das Entlanghangeln an den Bildern einer Zagreb’schen Jeunesse, die Biografie eines „Bogarosch“, was im Ungarischen bedeutet: „Einer, der Grillen im Kopf hat.“ So werden Sonderlinge genannt. Bei Popovic ist es ein anderes Wort für „Kalda“.

Edo Popovic: Kalda. Roman. Aus dem Kroatischen von Alida Bremer. Mit Audio-CD. Voland & Quist, Dresden 2008. 288 Seiten, 21,90 €.

Oliver Ruf

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