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Leipziger Buchmesse: Hölle, Hölle, Hölle

Maria Svelands postfeministischer Roman "Bitterfotze" ist keine verschärfte Version der "Feuchtgebiete", sondern ein zorniger Appell für mehr Gleichberechtigung.

Schnell eine Warnung: Hier geht es nicht um „Muschis“, in die Avocadokerne und Grillzangen eingeführt werden, auch nicht um Hämorrhoiden, Analverkehr oder Intimrasuren. Zwar liegt es nah, hinter „Bitterfotze“ die verschärfte Version von Charlotte Roches „Feuchtgebieten“ zu vermuten, doch der Debütroman der schwedischen Autorin Maria Sveland, 34, provoziert trotz seines Titels nicht mit weiterer Pipi-Kacka-Prosa, sondern mit einem wütenden, verzweifelten Hilfeschrei: nach mehr Gleichberechtigung, mehr Gerechtigkeit in der Beziehung zwischen Mann und Frau. In der Ehe. Im Beruf. Im alltäglichem Umgang.

Wohin sie auch geht, erlebt die 30-jährige Journalistin Sara, verheiratet und Mutter eines zweijährigen Sohnes Ungleichbehandlung. Zu Hause, im Job, im Kollegenkreis. All die Frauen, die sich beschweren, wie unmöglich ihre Männer sind und doch jede Mahlzeit kochen, die Wohnung putzen und die Kinder versorgen, anstatt etwas an den Strukturen zu ändern: All das kotzt Sara so sehr an, dass sie „bitterfotzig“ geworden ist – und einen Tabubruch begeht. Sie lässt Mann und Sohn allein zurück und fährt für eine Woche nach Teneriffa. Sie will ausschlafen und darüber nachdenken, was sich gegen Ungerechtigkeit und „Bitterfotzigkeit“ tun lässt.

Sara reflektiert ihre Kindheit, in der ihre Mutter stets am Spülbecken steht, der Vater ein Tyrann ist und die Familie in eisigem Schweigen erstarrt. Sie erinnert sich an ihre Pubertät, in der sie sich ausprobiert und den Stempel „Hure“ bekommt, an ihre Ehe, in der sie irgendwann die Ohrstöpsel nicht nur nachts, sondern auch am Frühstückstisch trägt. Ehe und Familie sind die Hölle, die Hölle, die Hölle, vermittelt Svelands Protagonistin. Überall sieht sie nur Frauen mit verkniffenen Mündern und emotionslosen Männern.

Das nervt an vielen Stellen – nicht jede nach außen hin glückliche Ehe oder Familie ist eine Lebenslüge. Trotzdem tragen Frauen noch immer den Großteil der Verantwortung, der Last und Schuld in der Familie. Daran hat sich kaum etwas geändert seit der Frauenbewegung der 70er Jahre, der Zeit, in der Saras Lieblingsbuch geschrieben wurde: Erica Jongs „Angst vorm Fliegen“.

Immer wieder vergleicht sie ihr Leben mit Jongs Protagonistin und steht im inneren Dialog mit einer ihrer Lieblingsfeministinnen, der Dänin Suzanne Brogger. Doch selbst wenn Sara gegen patriarchale Strukturen kämpft, schafft sie nicht das, was Männer wie ihr Johan können: das Kind zu lieben und dennoch Egoist zu sein, sich einfach Freiheiten herauszunehmen. Nicht von Kind und Mann fremdbestimmt, sondern über sich selbst zu bestimmen, das ist der große Wunsch von Sara wie von vielen anderen jungen Frauen, die an der Differenz von Gleichheitsversprechen und Realität verzweifeln.

Dass Svelands zorniger Schrei ausgerechnet aus dem Emanzipationswunderland Schweden herüberschallt, in dem mehr als 80 Prozent der Frauen arbeiten und Krippenplätze garantiert werden, zeigt, wie hilfreich, aber ungenügend solche Strukturen für die tatsächliche Gleichberechtigung sind. Es sind die Frauen, die egoistischer werden müssen.

In Schweden hat „Bitterfittan“ für ähnliches Aufsehen gesorgt wie hierzulande „Feuchtgebiete“ – und der Kölner Verlag Kiepenheuer & Witsch hofft vielleicht, die Scharte auswetzen zu können, die er sich zufügte, als er „Feuchtgebiete“ als zu pornografisch ablehnte. Den Titel wählte Sveland aus dem Repertoire der MännerMunition: „Sowohl ,verbittert’ als auch ,Fotze’ sind Wörter, die von Männern genutzt werden, um Frauen und Mädchen zu diffamieren(...)Ich habe mein Buch also so genannt, damit es niemand anderes tut“, sagte sie in einem Interview. Da ist sie wieder, die Selbstbestimmtheit. Sara kehrt am Ende versöhnlich, aber mit dem Vorsatz zurück: „Ich werde nie wieder um Entschuldigung bitten, weil ich meine Seele besitzen will und mein Leben.“ Dann los. Zu Hause wartet das Kind.

Maria Sveland:  Bitterfotze. Roman. Aus dem Schwedischen von Regine Elsässer. Kiepenheuer & Witsch, Köln 2009. 272 Seiten, 8,95 €.

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