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Leipziger Buchmesse: Krieg, Frauen, Schnaps

Es geht um Wut: "Drei Sekunden Himmel" von Sigitas Parulskis erzählt die Geschichte eines ehemaligen Sowjetsoldaten.

Wut gibt einer Geschichte Tempo. Und um Wut geht es in Sigitas Parulskis Debütroman „Drei Sekunden Himmel“, der in Litauen bereits 2002 erschien und eine Reihe wichtiger Preise abgeräumt hat. Erzählt wird die Geschichte eines 40-jährigen Litauers, der komplett am Ende ist. Der Suff hat ihn am Kragen. Er reist in einen Kurort an der Ostsee. Doch wenn er aufs Meer blickt, sieht er „gar nichts“, was er als Bestätigung für seine Verlorenheit nimmt.

„Am Arsch bin ich gewesen“, sagt er, der ehemalige Sowjetsoldat, der in den 80er Jahren als Fallschirmjäger-Rekrut in die DDR nach Cottbus geschickt wurde und dabei noch Glück hatte. Es hätte auch nach Afghanistan gehen können. Aber das verstärkt nur die Säuernis dieser Figur. Jetzt fühlt er sich noch wertloser. War nicht schon in der dritten Kasernennacht der Kamerad im Bett über ihm, ein Ukrainer, von herumstreunenden Aserbaidschanern so übel zugerichtet worden, dass dessen Blut durch die Matratze auf ihn heruntertropfte?

Oh, glorreiche Rote Armee. Hier wird ihr Untergang besungen in der Tonlage des Exzesses, der grimmigen Hellsicht und militärischen Sinnlosigkeit, kurz: des Wahnsinns. Dafür steht Isaak Babels „Reiterarmee“ Modell, das sprachmächtige Schlachtenpanorama von 1926 über die Gräuel des Krieges, die die Geburtsstunde des Kommunismus begleitet haben. Achtzig Jahre später findet Sigitas Parulskis für das Soldatenleben erneut starke halluzinierende Bilder. Die Ausbildung bei den Luftlandetruppen beschreibt er als metaphysisches Abenteuer, die Angst vor der Bodenlosigkeit ritzt psychedelische Eisblumen in den Text. „In der Armee nimmt die Qual ihren wahren Gehalt und ihre wahre Form an“, heißt es einmal. Doch der Sturz aus der offenen Helikopterluke in 600 Meter Höhe hat für Parulskis Ich-Erzähler mehr zu bieten. Denn dort, im rauschenden Luftzug nach unten, ist er ganz allein. Für drei Sekunden ein freier Mann, bis sich der Fallschirm aufspannt.

Schnell treibt Sigitas Parulskis die Handlung voran, hält sich weder an Raum- noch an Zeitordnungen. Der Zorn führt direkt ins Delirium. Zehn Kapitel auf den ersten vierzig Seiten. Das liest sich gut und verschafft Parulskis eine Menge Gelegenheiten, neu anzusetzen, Schneisen in seinen Weltfrust zu schlagen. Leider stockt die Erzählung deshalb auch. Die Wut wird zum leicht übertriebenen Gebaren eines ehemaligen Soldaten, dem gar nicht so viel Schlimmes passiert ist. Frauen und Schnaps. Er darf eben kein Held sein. Kai Müller

Sigitas Parulskis: Drei Sekunden Himmel. Roman. Aus dem Litauischen von Claudia Sinnig. Claassen Verlag, Berlin 2009. 260 Seiten, 19,90 €.

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