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Leipziger Buchmesse: Mein Onkel von der Stasi

Susanne Schädlich hat in ihrem Roman "Immer wieder Dezember" ihre Ost-West-Familiengeschichte notiert.

Die Sätze sind kurz, wie gestanzt. Oder sie schlingern, haltlos, befremdet. Dazwischen IM-Prosa, Dauerbeschattung in Kürzeln und Tarnwörtern. Die Stasi spricht von Zersetzungsmaßnahme oder „Abschluss eines Operativvorgangs“. Übersetzt, heißt das: Eine Familie zerbricht, ein Mann kommt ins Gefängnis.

Susanne Schädlich hat ihre Familiengeschichte notiert: Ihr Vater, Hans-Joachim Schädlich, wird wegen der West-Veröffentlichung seines Erzählungsbandes „Versuchte Nähe“ und der Unterschrift unter die Biermann-Petition von den DDR-Behörden schikaniert. Die Tochter ist 12, als die Familie 1977 ausreisen muss. Sie wird im Westen weiter bespitzelt, auch die Mutter, die Dissidenten-Literatur publiziert. 1992 stellt sich heraus, dass der von Susanne geliebte Onkel Karlheinz Schädlich der Verräter war, IM „Schäfer“, ein Wolf im Schafspelz. Alle hatten ihm vertraut. Auch die Ost-WestRunden in der DDR, Leute wie Fuchs, Kunert, Sarah Kirsch, Grass. 2007 erschießt sich der Onkel auf einer Berliner Parkbank, 15 Jahre nachdem er gesagt hatte, dass er die Scham nicht erträgt.

Die Nichte ist nicht versöhnt. Empörung und Verletztheit prägen das Buch. Warum soll ein Opfer versöhnt sein, weil der Tod des Täters so laut war, so aggressiv? Der Titel „Immer wieder Dezember“ bezieht sich auf die Dezember-Dramen der Schädlichs: Ausreise, Umzüge, Trennungen, Enthüllungen, der Selbstmord. Dazu die Depressionen des Vaters, seine nur knapp vereitelte Zwangsrückführung in die DDR, die zerrüttete Ehe, die eine Lehrstelle suchende Tochter in West-Berlin, die ahnungslos in die Fänge der Stasi gerät – ist so viel beschädigtes Leben nicht Anlass zur Wut?

Die Autorin erliegt dennoch nicht ihren Gefühlen. Sie protokolliert, ringt um Sachlichkeit. Dieses Ringen macht das Buch in der Flut der 20-Jahre-Mauerfall-Literatur so lesenswert. Erschütternd die Passagen, in denen sie eigene Erinnerungen mit den widersprüchlichen Erzählungen der anderen und den Stasi-Berichten gegenschneidet. Erinnerung ist Fiktion, und in den Akten steht es Schwarz auf Weiß? Nein, die Wahrheit darin ist geraubt, bleibt unfassbar. „Das sind alles Geschichten, die erzählt werden müssen, damit man beteiligt bleibt“, schreibt Schädlich. Sie bannen die Gefahren der Ostalgie. Christiane Peitz

Susanne Schädlich: Immer wieder Dezember. Der Westen, die Stasi, der Onkel und ich. Droemer Verlag, München 2009. 256 Seiten, 16, 95 €.

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