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Lesestoff: ''Angriff aus Asien''

Wolfgang Hirn warnt vor der mangelnden Wettbewerbsfähigkeit des Westens gegenüber den aufstrebenden Entwicklungsländern.

Auf der Weltkarte im Umschlag ist die Reiseroute des Autors abgedruckt. Sie führt von Seoul über Peking und Schanghai, von Tokio nach Singapur, in die indischen Städte Bombay, Hyderabad und Bangalore, über Moskau weiter nach Sao Paolo und Brasilia bis nach San Francisco. Ganz klar, „Angriff aus Asien“ ist das Buch eines Jetsetters. Aus dieser Perspektive entwickelt Wirtschaftsjournalist Wolfgang Hirn auch seine Hauptthese: Der dekadente Westen, zur spaßfixierten Telekratie mit antriebslosen Jugendlichen und arbeitslosen Erwachsenen verkommen, sei gegenüber Indien und China nicht mehr wettbewerbsfähig. Diese Staaten stellen einen Superlativ nach dem anderen auf: 500.000 Ingenieure bringt allein Indien pro Jahr hervor, gemeinsam mit China hat es 2,5 Milliarden Einwohner, die zusammen Millionen Arbeitsplätze aus dem Westen abwerben und Milliarden Dollar umsetzen.

Wie schon in seinem Buch „Herausforderung China“ will Hirn vor der mangelnden Wettbewerbsfähigkeit des Westens gegenüber den aufstrebenden Entwicklungsländern warnen. Seine Argumente stützen sich dabei auf eine Studie der Investmentbank Goldman-Sachs: Da vom Wirtschaftswachstum Indiens und Chinas besonders Brasilien als „Kornkammer der Welt“ und Russland als „Tankstelle der Welt“ profitierten, würden diese vier sogenannten BRIC-Staaten bis zum Jahr 2050 zu den reichsten Nationen der Welt gehören – und Deutschland und die USA überrunden. Hirn dekliniert diese These, indem er Ortsbegehungen von den Schauplätzen der Globalisierung durch Gespräche mit Managern und Politikern anreichert. Was er dabei zutage fördert, soll den Leser aufrütteln. Tatsächlich überzeugt die Diagnose, dass der Westen dem asiatischen Gemisch aus autoritären Regierungen, dem verzweifelten Mut der armen Bevölkerungen und dem Ehrgeiz der asiatischen Familien wenig entgegenzusetzen hat. Gut möglich auch, dass sich der Wettbewerb um Bodenschätze und Arbeitsplätze zu „neuen kalten Kriegen“ zuspitzen könnte.

Doch Hirn erzählt nur die halbe Wahrheit. Denn er bewegt sich lediglich innerhalb der repräsentativen Gebäude international erfolgreicher Institutionen, schöpft quasi in jedem Land nur die Sahne ab. Dass von dem Wirtschaftsaufschwung Indiens 750 Millionen Menschen nicht profitieren, weil sie in Slums außerhalb der IT-Zentren leben; dass in China aufgrund der Umweltverschmutzung jedes Jahr mehr als eine Million Kinder mit Missbildungen geboren werden; dass in Brasilien der Regenwald durch Brandrodungen schrumpft und in Russland die Demokratie am Ende ist: Das bezieht Hirn in seine Argumentation kaum ein. Stattdessen wendet er sich lieber gegen die westlichen Demokratien, die ihm zu langsam und ineffizient sind, um mit diesen großen Entwicklungen Schritt zu halten. Am Ende liefert sein Buch Managern und Politikern damit nur eine Fülle von Argumenten, mit denen das Vorantreiben einer sozial ungerechten Globalisierung legitimiert werden kann: Wir haben doch keine Wahl mehr.

Wolfgang Hirn: Angriff aus Asien. Wie uns die neuen Wirtschaftsmächte überholen. Fischer Verlag, Frankfurt 2007, 287 Seiten, 14,90 Euro.

Lu Yen Roloff

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