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Bergman

© Svensk Filmindustri/Taschen

Literatur: Aus dem Leben eines Gauklers

Eine opulenter Bildband versammelt Ingmar Bergmans Vermächtnis - und bislang Unveröffentlichtes.

Nordischer Grübler. Hagerer Asket. Gottsucher mit Kamera. So glaubt man Ingmar Bergman zu kennen. In Wirklichkeit war der schwedische Regisseur wohl: komischer. Für Albereien gab er sich gerne her, auch für einen Flirt war er stets zu haben. So ist Bergman, der im Juli 2007 mit 89 Jahren starb, jetzt jedenfalls zu entdecken. Schmalfilmaufnahmen aus seinem Privatarchiv, die in den fünfziger und sechziger Jahren entstanden, zeigen ihn als gut gelaunten Workaholic und charmesprühenden Womanizer. Stets von einem Pulk von Mitarbeitern umgeben, dirigiert er seinen Filmtrupp mit einer wedelnden Sonnenbrille als Zeigestockersatz. Am Flughafen von Stockholm vollführt er eine chaplineske Koffer-Pantomime. Und immer wieder rücken junge Frauen sehr nah an seine Kamera heran, feixen, ziehen Grimassen, winken mit den Zöpfen. Erst ist es Harriet Andersson, dann ihre Schwester Bibi. Mit beiden Schauspielerinnen hatte Bergman, der fünf Mal verheiratet war und neun Kinder zeugte, Affären.

Eine DVD mit den Super-8-Filmen gehört als Bonusmaterial zu einem Buch, das das Leben und Werk des Filmemachers in einer bislang unerreichten Opulenz aufblättert. Das „Ingmar Bergman Archiv“ ist eines dieser überformatigen Coffeetablebooks aus dem Taschen Verlag, unter denen sich jeder Coffeetable biegt. 5,8 Kilo schwer und mit einem Format von 41,1 mal 30 Zentimetern ungefähr in doppelter Din-A-4-Größe, enthält der vom Filmschreiber Paul Duncan und von Bergmans persönlichem Fotografen Bengt Wanselius herausgegebene Band ausführliche Angaben zu allen Film- und Bühneninszenierungen des Regisseurs, Interviews, Tagebuchauszüge und natürlich Fotos, Fotos, Fotos.

Bergman, mit der obligatorischen Baskenmütze, der 1948 die Kamera für den Film „Hafenstadt“ zwischen Kränen und Schiffsmasten im Hafen von Göteborg platziert hat. Bergman, der 1962 auf dem Set von „Licht im Winter“ mit Hauptdarstellerin Ingrid Thulin schäkert, ihr an die Gurgel geht und die Zunge rausstreckt. Und – grandioser Witz – Liv Ullmann, die 1976 während einer Drehpause bei „Von Angesicht zu Angesicht“ im Sarg liegt und den „Hollywood Reporter“ liest.

Das erste Kapitel heißt „Der Lehrling“, das siebte und letzte „Der Meister“. Dazwischen: „Ein Doppelleben“, „Der Zweifler“, „Mysterien“. Ingmar Bergman brauchte lange, um ein großer Regisseur zu werden, der Erfolg fiel ihm nicht in den Schoß. „Einen Sommer lang“ (1951), ein auch heute noch berückender Liebesfilm, der in der Königlichen Oper von Stockholm und in der Einsamkeit der Schären-Landschaft spielt, war für ihn „der erste Film, bei dem ich spürte, dass ich mich allmählich ausdrücken kann“. Vorher hatte er bereits neun Filme inszeniert, an französischen Vorbildern geschulte Melodramen wie „Es regnet auf unsere Liebe“ oder das von Hitchcock beeinflusste Selbstmord-Psychogramm „Durst“. Als der Pastorensohn im Sommer nach seinem Abitur krank wurde, schrieb er eine Kurzgeschichte in sein Lateinschulheft, aus der sein erstes Drehbuch entstand. 1942 wurde er vom Svensk Filmindustrie-Studio als sogenannter „Drehbuchneger“ engagiert, der Skripts zu bearbeiten hatte.

Schweden war während des Zweiten Weltkriegs vom amerikanischen Kino abgeschnitten, die heimische Filmindustrie blühte auf. „Jeder, der einmal mit einem Schauspieler geredet hatte, wurde Regisseur“, scherzte Bergman später. Anfangs überforderte das Drehen ihn, „ich war enorm aggressiv und im Atelier absolut grässlich“. Ein absolutistischer Herrscher hinter der Kamera ist er geblieben, aber gegenüber seinen Schauspielern, „Bergmans Stall“, wurde er immer entspannter und freundlicher. Ab 1952 inszenierte Bergman am Stadttheater von Malmö Strindberg, Ibsen und Moliere. Dort scharte er Schauspieler wie Max von Sydow, Ingrid Thulin, Erland Josephson und die Andersson-Schwestern um sich, die jahrzehntelang zu seiner Entourage gehören sollten. Seitdem er als Kind seinen ersten BlechProjektor geschenkt bekommen hatte, hielt er das Filmemachen für „Zauberei“.

Magie ist mitunter dabei, wenn Bergman seine Stoffe entdeckt. Als er an einem Winterabend ein paar Zirkuswagen durch eine trostlose Landschaft rollen sieht, entsteht die Idee für „Abend der Gaukler“. Das mittelalterliche Ritter- Tod-und-Teufel-Thema von „Das siebente Siegel“ geht auf Besuche mit seinem Vater in der Kirche von Härkesberga zurück, in der auf einem Wandgemälde ein Mann mit dem Tod Schach spielt. Anfang der sechziger Jahre hat er genug vom Bohème-Leben und zieht mit seiner Frau Käbi Laretei in eine elegante Villa in Stockholm. Laretei ist Konzertpianistin, unter ihrem Einfluss probiert er am Aufbau seiner Filme „Wie in einem Spiegel“, „Licht im Winter“ und „Das Schweigen“ kammermusikalische Formen durch. Auf der Suche nach einem Drehort für „Wie in einem Spiegel“ stößt Bergman auf die Insel Farö im Norden Gotlands, ein karger Fleck Erde, fortan sein Refugium.

„Fanny und Alexander“, eine sepiagetönte Kindheitserinnerung, sollte 1982 sein letzter Kinofilm sein, aber auch danach bleibt er produktiv. Er inszeniert Theaterstücke in Stockholm und München, dreht Fernsehfilme, schreibt seine Memoiren. Die Filmfestspiele in Cannes ehren ihn als „größten Filmregisseur aller Zeiten“. Befragt, wie er sterben möchte, erzählt Bergman von einer imaginären Begegnung mit seiner toten Frau: „Ich stelle es mir so vor: Eines Morgens gehe ich den Waldweg an den Fluss hinunter. Es ist ein Herbsttag und ganz windstill. Sie trägt ihren Jeansrock, eine blaue Strickjacke und ist barfuß. Sie kommt auf mich zu und ich überlege: Ist es so einfach?“

Paul Duncan/Bengt Wanselius (Hg.): Das Ingmar Bergman Archiv, Taschen Verlag, Köln 2008, 592 S., 150 €. – Der Band wird an diesem Dienstag, 28. 10., um 18 Uhr im Felleshus der Nordischen Botschaften vorgestellt, Rauchstr. 1. Eintritt frei.

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