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Quim Monzó

© Promo

Literatur aus Katalonien: Die Lächerlichkeit der Liebe

Grausam komisch ist Quim Monzós "100 Geschichten". Das Buch gleicht einer Wundertüte. Man blättert hinein, knapp 800 Seiten, beginnt zu lesen und stößt auf alles, was Leben und Literatur so hergeben: Skurriles und Tragisches, Surreales und Trauriges, Unwahrscheinliches und Banales, Zärtliches und Grausames.

Diese „100 Geschichten“ können nicht in einem Rutsch konsumiert werden; es empfiehlt sich zum Einstieg eine eher geringe Dosis; der Rest kommt von allein. Kaum mehr als jeweils fünf oder sechs Seiten hat eine Erzählung des 1952 geborenen Katalanen Quim Monzó, der dieses Jahr die Frankfurter Buchmesse als Gastredner eröffnen wird, vor seiner Schriftstellertätigkeit aber viele andere Berufe ausübte: Cartoonzeichner, Grafikdesigner, Drehbuchautor, Radiosprecher, Songwriter, Kriegsberichterstatter in Vietnam. Seine knappen, konzentrierten Texte aber haben es in sich. „100 Geschichten“ versammelt erstmals sämtliche Erzählungen Monzós in deutscher Übersetzung, darunter stärkere und schwächere, allein: Misslungen ist keine einzige.

Es sind meist Szenen aus dem Alltag, die sich ins Groteske wenden und mit einer überraschenden Pointe enden oder auch beginnen. Wie in „Der Brief“: Ein Mann kommt nach Hause, schließt Fenster und Türen und dreht den Gashahn auf. Die Concierge, die ihn tot auffindet, legt ihm noch einen Brief in die Hände, den sie entgegengenommen hat. Darin beschreibt die ehemalige Geliebte des Mannes ausführlich die sexuellen Praktiken ihres neuen Liebhabers. Der Brief endet mit dem Wunsch, der Mann möge wenigstens den Mut haben, sich umzubringen – so wie bereits sein Vorgänger.

In einer anderen Geschichte, „Eheleben“, liegt ein Paar nebeneinander im Bett, unschlüssig, ob der jeweils andere denn nun Lust auf Sex haben könnte. Sie löschen das Licht, masturbieren heimlich nebeneinander her und schlafen traurig ein. Überhaupt fällt auf, dass es bei Monzó schnell zu lächerlichen Situationen kommt, sobald die Liebe im Spiel ist. Sein Blick ist der eines Beobachters, der ernüchtert zusammenkehrt, was übrig bleibt, wenn Rausch und Leidenschaft in geregelte Normalität übergegangen sind.

Dass der Grat zwischen Komik und Grausamkeit schmal ist, versteht sich von selbst. Nicht umsonst hat Monzó einmal betont, dass er sich auch einen Autor wie Kafka nicht ohne Humor vorstellen könnte. Wie bei Kafka ist es auch in den „100 Geschichten“ immer wieder die Familie, die der Motor für die Kombination aus Ignoranz, Verletzung und einem der Lakonie entspringenden Lachen ist. In „Mein Bruder“ ignoriert eine Familie den Umstand, dass ihr Sohn („Er war nie ein besonders lebhafter Junge gewesen“) während des Weihnachtsessens am Tisch verstirbt. „Mir scheint, du hast zu viel getrunken, Toni“, sagt der Vater; später bringt ihn der Bruder ins gemeinsame Zimmer und zieht ihm den Schlafanzug an. Von nun an läuft das Leben weiter wie zuvor – bis Vater und Mutter ebenfalls sterben.

Etwas Manisch-Obsessives haben all die Figuren in Quim Monzós Kosmos; Getriebenes einerseits, Phlegmatisches andererseits. In „Vor dem König von Schweden“, einer mit knapp hundert Seiten geradezu ausufernd umfangreichen Erzählung, gerät ein Schriftsteller, der seit Jahren auf der Vorschlagsliste seines Landes für den Nobelpreis steht, in die Mühlen einer zwergenhaften Hausgemeinschaft, die ihn dazu zwingt, die Waschbecken in seiner Wohnung auf 80 Zentimeter herabzusetzen, und ihn auf eine Größe von 1,47 Meter schrumpfen lässt. Dass diese Erzählung die Nobelpreisrede des Schriftstellers ist, erfährt man erst zum Schluss.

Auch dieser Text steht stellvertretend und symbolisch für Monzós „100 Geschichten“: Leben und Literatur lösen sich ab; Realität und Erfindung gleiten unmerklich ineinander. Man muss aber konstatieren, dass die Absurdität des Lebens und die Absurdität, die hier abgebildet wird, nichts miteinander zu tun haben: Monzó ist ein fabelhafter Weltenerfinder. Sein Prosa-Universum ähnelt dem unseren allerdings auf erschreckende Weise.

Quim Monzó: 100 Geschichten. Roman. Aus dem Katalanischen von Monika Lübcke. Frankfurter Verlagsanstalt, Frankfurt am Main 2007, 788 Seiten, 25,00 €

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