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Literatur: Brüder, zur Sauna!

"Young Euro Connect": Europas Schriftstellernachwuchs gibt sich in Berlin hoffnungsvoll und zynisch.

Was ist Brüderlichkeit? Gemeinschaft oder Ausschluss anderer, Verlässlichkeit oder Enttäuschung, gelebte Wirklichkeit oder idealistische Utopie? Sechs junge europäische Autoren gaben bei „Young Euro Connect“, dem Litertaturabend zum Orchesterfestival im Konzerthaus, sechs sehr unterschiedliche Antworten. Am Anfang steht das muttersprachliche Wort: Die Autoren tragen die ersten Sätze ihrer Essays zum Thema „Europa – brüderlich geeint?“ in den Landessprachen vor, dann lesen die Schauspieler Katharina Schmalenberg und Dietrich Mattausch die deutschen Übersetzungen.

Das kontemplative Marimbaphon-Spiel von Simon Rössler und einführende Worte von Tagesspiegel-Chefredakteur Stephan-Andreas Casdorff begrüßen den ersten Nachwuchsschriftsteller: Der Este Mihkel Kaevats (Jahrgang 1983) schaut nach Russland, attestiert dem Krieg führenden Nachbarn ein „grundsätzliches Anders-Sein“ und erklärt es zum „Hauptantagonisten europäischer Werte“. Nicht weniger kritisch, aber stärker mit Blick auf das eigene Land, beleuchtet die 28-jährige Österreicherin Ursula Knoll die europäische Brüderlichkeit am Tag der EU-Osterweiterung. In ihrem Text voll boshaftem Witz rufen österreichische Bürger beim EU-Kommissionspräsidenten an und beschweren sich, dass ihnen Slowenien „so nah auf den Pelz“ rücke und schlagen vor, die „Schwulenpest und Lesbenbagage“ nach Madagaskar auszulagern.

Der Essay von Agnar Lirhus aus Norwegen ist vage und vollführt einen Spagat zwischen familiärer Brüderlichkeit und adoleszenten Selbstfindungsprozessen vor europäischem Horizont. Bezeichnend, dass die einzige Autorin, die den Begriff Brüderlichkeit positiv interpretiert, nicht aus Europa stammt: Die Philosophin Narmin Kamal aus Aserbaidschan sieht darin eines der großen Ideale Europas, blickt mit Optimismus auf das „Einheit durch Vielfalt“-Versprechen. Fast zynisch hingegen kommentiert der Jüngste in der Runde, der 26-jährige Pole Jakub Zulczyk, in seinem „Drehbuch zum Videoclip zu ,Imagine’ von John Lennon“ die schöne neue Welt Europa: Mit Bildern des zerbombten Sarajewos, von einer polnischen Neonazi-Demo oder einem Imam, der zu Terroranschlägen aufruft.

Die Belgierin Annelies Verbeke hingegen erzählt mit feiner Ironie: Sie erlebt europäische Brüderlichkeit vor allem an Orten, an denen es heiß ist. Auf griechischen Inseln oder in estnischen Saunen. Augenzwinkernd beendet sie den Abend: „Ich erwarte mir daher auch einiges von diesem Sommer, in Deutschland.“ Eva Kalwa

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