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Bruno

© ddp

Literatur: Der Dichter und das Biest

Der Künstler als Problembär: Mit der Novelle "Bruno" ist Gerhard Falkner ein Kabinettstück gelungen.

Von Gregor Dotzauer

Der Künstler ist ein armes Schwein. Wenn er wie der Ich-Erzähler von Gerhard Falkners Novelle „Bruno“ allem Menschlichen entsagt, um für nichts als seine Kunst zu leben, braucht er sich zwar nicht zu wundern, wenn er darüber die meisten seiner Freunde einbüßt und die Frau verliert. Doch selbst wo er verstandesmäßig Einsicht zeigt, bleibt er einem animalischen Kunstbedürfnis ausgeliefert. Bereits das rechtfertigt die Tiermetapher: Er kann beim besten Willen nicht anders. Es genügt, Falkners eigene Vorsätze zu betrachten. Hatte er nicht 1989 mit „Wemut“ seinen letzten Lyrikband angekündigt und dies damit begründet, dass Dichtung „die kühnste unter den Künsten“ sei, „über deren extremste Bedingungen, die sie ab einer bestimmten Höhe diktiert, sich Unverfallene wohl schwerlich einen Begriff machen“?

Schon sieben Jahre später wurde er mit „X-te Person Einzahl“ rückfällig, und angesichts seiner für den Herbst angekündigten „Hölderlin Reparatur“ ahnt man, dass in den hochalpinen Geistesregionen, die er bewohnt, die Luft tatsächlich dünn wird. Gerhard Falkner, 1951 im mittelfränkischen Schwabach geboren und heute zur Hälfte in Berlin zu Hause, hatte von Anfang an Himmelsstürmerisches im Blick. Als seine Altersgenossen die deutsche Lyrik noch damit retten wollten, ihr mehr Bierdunst und Auspuffgase einzuhauchen, versuchte er 1981, sie in seinem Debüt „so beginnen am körper die tage“ mit Ezra Pound und Friedrich Hölderlin als Schutzheiligen aus der Profanisierung herauszuschreiben.

Damals, meinte Falkner später nicht zu Unrecht, hätte aus ihm ein Dichterheld wie Durs Grünbein werden können, falls ihm nur mehr „Geistesgegenwart“ und weniger „narzisstisches Abstandspathos“ zum Literaturbetrieb zu eigen gewesen wären. Was stattdessen aus ihm wurde, erzählt „Bruno“: ein Problembär.

In dem reichhaltigen Bestiarium, in dem der Künstler sich spiegelt, spielte der Bär bisher eine untergeordnete Rolle. Er galt als bunter Hund, als einer, der den Affen macht. Politische Kammerjäger erkannten in ihm den Typus der Ratte und der Schmeißfliege. Es bedurfte aber erst eines gewissen Bruno und eben jenes Gerhard Falkner, um dem Bär höhere literarische Weihen zu geben. Unter dem Namen JJ1 2004 als erster von drei Braunbärbrüdern in einem Naturpark des italienischen Trentino geboren, lebte er dort unauffällig, bis er zwei Jahre später nach Österreich und Bayern wanderte und unter Schafen und Menschen Unruhe zu stiften begann. Alle Versuche, ihn lebend zu fangen, schlugen fehl. Im Juni 2006 wurde er in der Nähe des Spitzingsees erlegt und genießt seitdem seinen Nachruhm ausgestopft im Münchner Schloss Nymphenburg.

Bruno, der zu einer in Europa fast ausgestorbenen Population gehörte, war nicht nur der erste ursus arctos, den die Deutschen seit 1835 in freier Wildbahn gesichtet hatten, er stürzte das Land auch in eine Diskussion über Natur und Kultur, wie es sie in dieser Breite nie zuvor gegeben hatte. Von der „Bild“-Zeitung bis zu Edmund Stoiber, dessen Unterscheidung von Normalbär und Problembär zur geflügelten Lachnummer wurde, tobte ein Kampf der Gefühle und Argumente. Eine historische Befriedung trat, von heute aus gesehen, erst mit der Heraufkunft eines kuscheligen ursus maritimus namens Knut ein, an dem man, kinder- und damenfreundlich eingehegt, wie er war, wiedergutmachen konnte, was man Bruno angetan hatte.

Der Stoff schreit geradezu nach einer allegorischen Deutung, und Gerhard Falkner hat sich ihrer, Autobiografisches und Fiktives vermengend, mit einer ironischen Leichtigkeit angenommen, die man ihm kaum zugetraut hätte. „Bruno“ ist ein vexierbildhaftes Porträt des Künstlers als Bär und des Bärs als Künstler. Inszeniert hat es Falkner als Suche eines Berliner Schriftstellers, der im Schweizer Wallis ein Stipendium antritt, nach einem in den dortigen Bergen gesichteten Bären – und zugleich als Suche nach sich selbst. Kapitelweise parallel geführt und dann wieder in unauflösbarer Überblendung werden die beiden einander nach zahlreichen Irrungen und Wirrungen erst begegnen, als Jäger den Bären schon erlegt haben.

Fremd ist dieser Dichter in die Welt der Berge einzogen, fremd zieht er wieder aus. „Diese Landschaft“, sagt er, „widersetzt sich massiv meiner Art, meinem Denken, meiner Gefühlslage und meiner Gewohnheit, mich fortzubewegen. Wir liegen uns gegenüber, wie vielleicht nur das Spekulative dem Spektakulären gegenüberzuliegen vermag.“ Das liegt schon an Temperaturunterschieden zwischen Berg und Tal, die auch dem Ich zu schaffen machen: „Die Hitze sitzt tief, und je höher es aus seiner Umgebung herausragt, umso eisiger wird es. Während das Denken in einer Region gedeiht, in welcher Klarheit und Kälte einander begünstigen, kocht in den Eingeweiden der Trieb, gärt in den Lenden das Laster, und an den Füßen züngeln die Flammen.“

Es sind dies existenzielle Unversöhnlichkeiten, deren Darstellung die Turbulenzen von Büchners „Lenz“ aufnimmt, sie aber mit der Seelenruhe eines erklärtermaßen auf Adalbert Stifters „Granit“ Bezug nehmenden Erzählens austrägt. Inneres und Äußeres überlagern einander mit einer majestätischen Poesie, die schon durch die genaue Nennung der zahllosen Berge, Schluchten und Rinnen entsteht. Der Bär ist dabei das „Totemtier“, einem burjatischen Mythos zufolge bestimmt durch „die Kraft und das Geheimnis seines Kopfes, denn dieser Kopf transportiert immer eine Seele von einem Leben zum nächsten. Wenn man einen Bären tötet, so darf keinesfalls der Kopf verletzt werden, da diese Seele sonst entweicht.“ Damit bildet er einen glatten Gegenentwurf zu dem gegen Menschen fechtenden, alle Stöße parierenden und alle Finten ignorierenden Bären in Kleists Aufsatz „Über das Marionettentheater“, von dem es heißt: „Wir sehen, dass in dem Maße, als, in der organischen Welt, die Reflexion dunkler und schwächer wird, die Grazie darin immer strahlender und herrschender hervortritt.“

Falkners „Bruno“ ist ein dichtes, in seinen Bezügen wundersam verspiegeltes Kabinettstück, in dem alles mit allem korrespondiert. Die Furchen des menschlichen Gehirns entsprechen den Furchen der Alpen. Der Bär ähnelt dem Fisch in Hemingways Erzählung „Der alte Mann und das Meer“. Dieser Blaue Marlin wiederum wird mit dem „absoluten Sprinter unter den Neurotransmittern“, dem Glutamat, ins Verhältnis gesetzt, das Licht, das der Erzähler in seine Existenz zu bringen versucht, mit dem Flämmchen des Ichs, das noch in ihm glüht, und die Jäger mit Fußballspielern. „Verteilt nicht das Fell des Bären, bevor er erlegt ist“, warnt das Motto der Novelle. Wie gut, dass ihr Verfasser allen Nachstellungen bisher mit großer Raffinesse entkommen ist.

Gerhard Falkners

Novelle „Bruno“ ist im Berlin Verlag

erschienen (110 S., 16 €). Bei kookbooks erschien zuvor das Berliner Langpoem „Gegensprechstadt – ground zero“.

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