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Gruppe 47

© ddp

Literatur: Die Super-Group 47

Wir erinnern uns an die legendäre Gruppe 47: Günter Grass, Martin Walser und Joachim Kaiser plaudern im Berliner Ensemble.

Martin Walser ist ein wenig in Polterstimmung. Nur alles schönreden, nur an Legenden weiterstricken, das möchte er nicht, als er sich an diesem lauschigen Freitagabend im Berliner Ensemble mit Günter Grass und dem Großkritiker Joachim Kaiser der Gruppe 47 erinnert. Also zitiert er den Gruppe-47-Impresario Hans Werner Richter, wie dieser einmal den Schriftsteller Albert Vigoleis Thelen abkanzelte: „Dieses Emigrantendeutsch brauchen wir nicht.“ Also räumt er einmal mehr mit der Legende auf, er habe 1951, damals noch als Rundfunktechniker, zu Richter gesagt: „Das kann ich besser.“ Er habe Richter nur gefragt, ob er nach oben in den Saal dürfe. Das sei ihm gestattet worden, nicht jedoch, an der Diskussion teilzunehmen.

Walser nennt dann den Schriftsteller Franz Joseph Schneider schon mal Franz Josef Strauß, und er wird auch von Kaiser auf manche Lücke in seinen Erinnerungen hingewiesen („Henze war 1953 nicht in Mainz!“) – doch gehören Ungenauigkeiten eben dazu, wenn drei Gruppe-47-Veteranen aus einem Abstand von vierzig bis fünfzig Jahren Fragen diskutieren sollen wie: „Was ist geblieben von der Gruppe 47, wie und wo hallt sie bis heute nach?“

Sicher verbürgt ist, dass die erste Einladung zu einem Schriftstellertreffen im Sommer 1947 erfolgte, ausgesprochen von Hans Werner Richter mit Unterstützung der Lyrikerin Ilse SchneiderLengyel, die für den 6. und 7. September ihr Haus am Bannwaldsee bei Füssen im Allgäu zur Verfügung stellte. Trotz der Lebensmittelmarken, die jeder selbst mitbringen sollte, hatte die Einladung etwas Verlockendes: „Es ist dort oben sehr schön. In dem See soll es noch riesige Hechte geben, wir können baden, vorlesen, uns unterhalten und einmal all das durchsprechen, was uns im Rahmen unserer Zeitschrift bewegt“, so Richter in einem Brief an den Lektor Walter Maria Guggenheimer. 17 Schriftsteller trafen sich dann, zunächst, um über die Literaturzeitschrift „Skorpion“ zu palavern, aber auch, um sich ein wenig verköstigen zu lassen. Tatsächlich ruderte Schneider-Lengyel im Morgengrauen auf den See und angelte für ihre Gäste frischen Fisch.

Aus der Zeitschrift wurde zwar bis auf eine Probenummer nichts, als Initiationsereignis war das Treffen aber ideal. Zwei Monate später schon beraumte Richter ein weiteres an, und bei diesem sollte zum Plaudern und Lesen auch die ultimative Kritik kommen. Richter warnte einen der eingeladenen Schriftsteller eindrücklichst: „Machen Sie sich bitte auf sehr scharfe Kritik gefasst, denn es wird in diesem Kreis auch nicht die geringste Rücksicht genommen.“ Richter selbst betätigte sich als Aufrufer und dirigierte, so sich Kritik auch spontan vielstimmig erhob. Die Autoren mussten schweigen. Damit war ein stabiler Rahmen geschaffen und die „Gruppe 47“ erfunden, ohne dass sie sich je ein Manifest, Statuten oder eine feste Mitgliederliste gegeben hätte. Es reichte ein Glaubensbekenntnis: „Wir wollten die Mentalität der Deutschen grundsätzlich verändern, weg vom obrigkeitsstaatlichen Denken, hin zum demokratischen.“

Sechzig Jahre später, vierzig Jahre nach dem letzten offiziellen Treffen im oberfränkischen Waischenfeld, ist die Gruppe 47 ein Mythos des Literaturbetriebs. Dabei fällt gerade an diesem Abend im Berliner Ensemble auf, wie wenig zum einen die damals Beteiligten an einer Revitalisierung interessiert sind, wie historisch das alles für den 80-jährigen Walser, den fast 80-jährigen Grass und den 78-jährigen Kaiser ist. Und wie sehr andererseits der 47-Mythos im heutigen Literaturbetrieb sein Wesen und Unwesen treibt.

So stand unlängst in der „FAZ“ ein merkwürdig ungerichteter Gedenktext, der behauptete: „Viele glauben nach wie vor an die Notwendigkeit einer solchen literarischen Einrichtung für das literarische Leben in Deutschland“. Benannt wurden diese „vielen“ nicht, gemeint waren wohl die von Grass 2005 ins Leben gerufenen Lübecker Schriftstellertreffen. Und so hieß es in der „Welt“, was für ein „zweischneidiges Schwert“ das Gruppe-47-Jubiläum für alle „Nicht-Linken“ sei, was für offene Türen „die Anhänger der Gruppe 47 und deren Gefolgsleute von heute mit Fundamentalkritik, ritualisierter Opposition und leer laufender Provokation“ einrennen würden.

Ja, so brüllen die Löwen und knabbern tapfer an ihrem Grass herum. Doch wirkt das eher muffig und erinnert höchstens daran, dass die Gruppe 47 Zeit ihres Bestehens in der Kritik stand. Dem Adenauer-Deutschland war sie als kleines Rebellengrüppchen ein Dorn im restaurativen Auge, ein CDU-Mann verteufelte sie gar als „linke Reichsschrifttumskammer“. Man zieh sie der literarischen Kumpanei und man warf ihr vor nur, „Kahlschlagliteratur“ zuzulassen und ästhetisch eingeengt zu sein. War an dem einen in der Hoch- und Spätzeit manches dran, dokumentieren zahlreiche Lesebücher und auch die Preisträger (u.a. Ilse Aichinger, Johannes Bobrowski, Jürgen Becker ) die literarische Spannbreite der Gruppe.

Schwerer wog der Vorwurf, die Exilliteratur ein weiteres Mal auszugrenzen. Dieser gipfelte von Beginn an in Antisemitismusvorwürfen, die der Germanist Klaus Briegleb vor ein paar Jahren in einer Studie auffrischte, ohne die Geschichte der Gruppe wirklich neu schreiben oder bewerten zu können: Denn wie überführt man Lügenbolde, die sich selbst belügen? Wie gräbt man Verdrängtes aus, das bei vollem Bewusstsein verdrängt wurde?

Von dieser Problematik vermitteln Walser, Grass und Kaiser auf dem Blauen Sofa des BEs naturgemäß gerade mal eine Ahnung, „wir waren ja alle Beschädigte, das hat uns ausgezeichnet“. Kaiser erwähnt zumindest, dass die Gruppe sich explizit als junge empfunden habe. Berühmte Exilschriftsteller seien genauso wenig eingeladen worden wie rechte, den Nazis nahestehende wie Ernst Jünger oder Ina Seidel. Dass die Beschädigungen Spuren hinterlassen haben, beweist auch Walser, als er das Thelen-Bashing zitiert oder er Richter ohne mit seinen toll weißbuschigen Wimpern zu zucken „Führerfähigkeiten“ attestiert.

Im Grunde performen alle drei unter der eigentlich überflüssigen Moderation von Wolfgang Herles einen unterhaltsamen Anekdotenstadl. Sie erinnern sich, tauschen Legenden aus, zitieren genüsslich Sprüche wie „Das größte Stück Scheiße, das jemals in Zeitungspapier eingewickelt war“ (Grass über den „Zeit“-Journalisten Rudolf Walter Leonhardt, der bei den Tagungen Applausbarometer führte).

Als Herles sie wenigstens einmal handzahm hintergründig mit einem alten Vorwurf Nicolaus Sombarts konfrontiert, sie seien ein Regiment aus Kleinbürgern gewesen, ist der Konter ein strammer: „Heute sitzen die Kleinbürger in den Feuilletons und spielen Großbürger und trinken Champagner“. Die Gegenwart, sie existiert an diesem Abend nur in den notorischen Ausfallern von Grass gegen die zeitgenössischen Medien.

Immerhin lassen Grass, Walser und Kaiser mehr oder weniger unausgesprochen erkennen: Die Gruppe 47 ist nur in einer historischen Situation wie der nach dem Zweiten Weltkrieg möglich gewesen und deshalb unkopierbar. Die Sehnsucht nach einer Wiederauflage ist mehr einer Sehnsucht nach Rabatz auf Seiten der Kritik und des Betriebes geschuldet, als dass sie sich realer Dichterwünsche verdankt. Zumal es lose Autorenzusammenschlüsse weiterhin gegeben hat. Man denke nur – sehr modern, sehr zeitgenössisch – an die kurzlebigen Internetportale „Am Pool“ oder „Null“. Oder an Klagenfurt, wo die Gruppe 47 in eine noch straffere Wettbewerbs- und Diskussionssituation überführt worden ist. Gerade die Autoren wundern sich ein jedes Mal über die in Klagenfurt herrschende Literaturbetriebsverklumpung, anstatt sich an ihr zu erfreuen.

Darüberhinaus streichen die drei Herren oft die enorme Bedeutung Hans Werner Richters heraus. Ohne ihn, ohne sein zähes, geniales Mitteln wäre bestimmt schon in den fünfziger Jahren Schluss gewesen. Die Gruppe 47, sagt Grass noch, repräsentiere für ihn nicht die Nachkriegsliteratur, und er nennt die Namen großer Abwesender: Schmidt, Koeppen, Frisch. „Der Gruppe 47 ist eine Nische in der Literaturgeschichte sicher“, so Kaiser. Ja, eine Nische! Am Ende ist der Applaus groß, aber auch das Erstaunen auf dem Podium. Ausdrücklich bedankt Grass sich für das Interesse des Publikums „an unseren doch so alten Geschichten“.

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