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Literaturkritik: Quacksalber und Rosstäuscher

Denis Scheck, Literaturredakteur beim Deutschlandfunk, bespricht einmal monatlich die „Spiegel“-Bestsellerliste, abwechselnd Belletristik und Sachbuch – parallel zu seiner ARD-Sendung „Druckfrisch“.

10) Rüdiger Safranski: Goethe und Schiller (Hanser-Verlag, 352 Seiten, 21,50 €)

Aus Safranskis gewohnt brillant geschriebenem Buch lässt sich viel mehr entnehmen als nur, in welchen wechselnden Verhältnissen Deutschlands größte Dichter zueinander standen. Diese Freundschaftsstudie lehrt unter anderem auch, wie Männer mit Konkurrenz umgehen können, nämlich dass es, in den Worten Friedrich Schillers, „dem Vortrefflichen gegenüber keine Freiheit gibt als Liebe“.

9) Rhonda Byrne: The Secret – Das Geheimnis (Aus dem Englischen von Karl Friedrich Hörner, Arkana, 237 Seiten, 16,95 €)

Dieses Begleitbuch einer Fernsehsendung über Esoterik zählt zum Bösartigsten, was zurzeit zwischen zwei Buchdeckeln zu haben ist. In dieser Schwarte stehen Ratschläge, die schlicht gemeingefährlich sind. Zum Thema Finanzplanung etwa schreibt Rhonda Byrne allen Armen ins Stammbuch: „Es trifft nicht zu, dass das Geld Ihnen vom Universum vorenthalten wird, denn alles Geld, dessen Sie bedürfen, existiert bereits jetzt im Unsichtbaren. Wenn Sie nicht genug haben, liegt es daran, dass Sie den Strom des Geldes stoppen, das zu Ihnen fließt, und Sie tun das mit Ihren Gedanken.“ Rhonda Byrne ist eine moderne Nachfahrin aller Hütchenspieler, Rosstäuscher und Quacksalber, ihr Buch eine Bibel des Schwachsinns.

8) Helmut Schmidt und Giovanni di Lorenzo: Auf eine Zigarette mit Helmut Schmidt (Kiepenheuer & Witsch, 291 Seiten, 16,95 €)

Dass dieses Interviewbändchen so kurzweilig, anregend und unterhaltsam ist, liegt an einem einzigen Umstand: Altkanzler Helmut Schmidt hat wohlbegründete Meinungen zu wirklich allem – außer Tiernahrung.

7) Yangzom Brauen: Eisenvogel (HeyneVerlag, 416 Seiten, 19,95 €)

Yangzom Brauen vermeidet in ihrer tibetanisch-schweizerischen Familiengeschichte über drei Generationen hinweg zwar meist jedes Schwarzweißdenken oder Gutmenschentum. Auch habe ich einiges über Tibet damals und heute erfahren, etwa dass das Ziel der spirituellen Entwicklung eines Buddhisten „innere Leere“ ist. Aber weil Brauen nicht über die schriftstellerischen Mittel verfügt, diese Geschichte spannend zu erzählen, bildet ihr Buch diesen buddhistischen Zustand unfreiwillig ab.

6) Michael Rosentritt: Sebastian Deisler – Zurück ins Leben (Edel, 256 Seiten, 22,95 €)

Ein Sportjournalist erzählt die Geschichte eines jungen Mannes, der gut Fußball spielen kann und psychisch krank wird. Leistungssport essen Seele auf – so hätte die simple Diagnose lauten können. Weil dieses Buch es sich schwerer macht, nämlich differenziert darstellt, welche Umstände an Sebastian Deislers Ausstieg aus dem Profifußball Anteil hatten, deshalb ist es ein lesenswertes Sportbuch.

5) Eduard Augustin, Philipp von Keisenberg, Christian Zaschke: Ein Mann, ein Buch (SZ-Edition, 415 Seiten, 19,90 €)

Ein schön gemachtes und perfekt recherchiertes Buch zum Kreuz-und-quer-Lesen, aus dem jedermann erfahren kann, welchen Anzug man trägt, wenn sich die Queen zum Abendessen ankündigt, wie man Servietten faltet und worauf es beim Fahren eines Linienbusses ankommt.

4) Michael Jürgs: Seichtgebiete (C. Bertelsmann, 256 Seiten, 14,95 €)

Michael Jürgs hat nicht gefallen, was ich neulich hier über sein Buch gesagt habe. Deshalb schrieb er mir: „Lieber Herr Scheck, mehr kann man nicht verlangen, als von Ihnen verrissen zu werden. Danke. Hätten Sie die Seichtgebiete auch noch gelesen, statt mein Buch nur anhand des Personen- und Sachregisters trockenzulegen, wäre Ihnen eventuell sogar aufgefallen, dass – auf Recherchen basierend (Tagebuch einer Lehrerin, Untersuchungen über Freizeitverhalten Jugendlicher etc.) – – von zehn Kapiteln nur fünf den Blöden und Blödmachern im Fernsehen gewidmet sind. (...) Gern sage ich Ihnen, worum es in den anderen geht: Kultur und Politik, Rücksichtslosigkeit von Unter- wie Oberschicht im Alltag, der tägliche Horror an deutschen Grundschulen, eine nicht gesellschaftsfähige Gesellschaft, beschrieben nicht nur am Beispiel Berlin usw.“ Genau dieses „usw.“ ist das Problem. Gern wiederhole ich daher mein Urteil: Dieses Buch bleibt im Bierdunst des Stammtischs stecken und kommt über die Form eines 256 Seiten langen Leitartikels kaum hinaus.

3) Richard David Precht: Wer bin ich und wenn ja wie viele (Goldmann-Verlag, 398 Seiten, 14,95 €)

Auch nach 91 Wochen auf der Bestsellerliste immer noch eine glänzende Einführung in Philosophie und Hirnforschung.

2) Manfred Lütz: Irre! (Gütersloher Verlagshaus, 208 Seiten, 17,95 €)

Der Psychiater Manfred Lütz hat ein launiges, geist- und faktenreiches Buch wider die „Tyrannei der Normalität“ geschrieben, in dem er zu einem entspannteren Umgang mit Geisteskranken aufruft. „Wer Bücher kauft, gehört schon zu einer Minderheit, und wer Bücher sogar liest und sie nicht bloß verschenkt, der ist nun wirklich nicht normal“, diagnostiziert Dr. Lütz. Ein guter, ein überfälliger Beitrag zur intellektuellen und moralischen Abrüstung in der Psychiatrie.

1) Eckhart von Hirschhausen: Glück kommt selten allein (Rowohlt, 383 Seiten, 18,90 €)

Angeblich ein Ratgeber für positive Psychologie. Mir aber macht diese aufgekratzte Heiterkeits-Pornografie im Ton eines eigenblutgedopten Frühstücksradiomoderators auf Speed bloß eins: extrem schlechte Laune.

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