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Nora Iuga

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Lyrik: Mädchen mit Falten

Ein Sammelband stellt die Gedichte der Rumänin Nora Iuga endlich auch dem hiesigen Publikum in allen Facetten vor.

Ein Wörtlichnehmen aller Phänomene, wie man es aus Träumen kennt, hat in der rumänischen Lyrik Tradition. Im Traum hält sich alles frisch, bleibt die Kamelschnauze gelb und der Schrei des Zwergs mit der Blechtrommel gellend. „Wann werden wir schlafende Logiker, schlafende Philosophen haben?“, hatte André Breton in einem surrealistischen Manifest gefordert. Es waren Rumänen wie Eugène Ionesco oder der bedeutende Lyriker Gellu Naum, die sich als Bretons gelehrigste Schüler erwiesen und in einem Land mit jahrzehntelang absurden politischen Zuständen den „rumänischen Traum“ bewahrt haben. „du, Vergrabene, rief da Gellu Naum / und stopfte mir eine Handvoll Blätter in den Rachen / welch grüne Agonie, stell dir doch vor / ja, stell dir vor, welch eine grüne Agonie“, heißt es in Nora Iugas Gedicht „Au Ralenti“ aus dem Zyklus „Die Nachtdaktylographin“.

Die 1931 in Bukarest geborene Lyrikerin, verdienstvolle Übersetzerin aus dem Deutschen und vor Energie übersprudelnde Hutliebhaberin ist seit Jahrzehnten eine feste Größe im kulturellen Leben ihres Landes. Nun wird ihr poetisches Werk mit einem vorzüglichen Sammelband endlich auch dem hiesigen Publikum in allen Facetten vorgestellt. „Ich hatte ein schönes Leben. Mit 60 Jahren bin ich dem Kommunismus entronnen“, schreibt sie im Nachwort mit jener knisternden Lakonik, die eines ihrer Markenzeichen ist. „Morbiden Erotismus“ hatte ihr die Zensur in der Ceausescu-Ära vorgeworfen, woraufhin sie acht Jahre lang keine Zeile mehr veröffentlichen durfte.

Bildkräftige Objektivationen und die Kombination gegensätzlicher Formelemente ziehen sich durch Nora Iugas Œuvre, halten etwa ein lyrisches Ich als „Mädchen mit den tausend Falten“ so frappierend frisch und elastisch. Aber auch ein albtraumhafter Schrecken bleibt. Ihm begegnet die Dichterin mit einer ungestüm erotischen Wort- und Lebenssuche: „Du nicht, nein, nicht du, die Inspiration ist ein Papagei, der redet, er wiederholt das Wort, das er nicht kennt.“

Nora Iuga: Gefährliche Launen. Ausgewählte Gedichte. Aus dem Rumänischen von Ernest Wichner, mit einem Nachwort von Mircea Cartarescu. Klett-Cotta, Stuttgart 2007. 136 S., 19 €.

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