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May

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Nachlass-Streit: Wem gehört Karl May?

Der Bamberger Verleger Schmid will vom Freistaat Sachsen 15 Millionen Euro für den Nachlass von Karl May - ansonsten will er die Werke auf dem freien Markt anbieten.

Dass Einbildung nicht nur als Bildung, sondern als Material alchimistischer Profitmaximierung eigenen Wert besitzt, hat Capitain Ramon Diaz de la Escosura alias M. Gisela alias Hobble-Frank alias Karl Hohenthal alias D. Jam alias Prinz Muhamêl Lautréaumont alias Ernst von Linden alias P. van der Löwen alias Emma Pollmer alias Richard Plöhn im Lauf seiner Karriere dann doch selbst noch erleben dürfen. Diese Pseudonyme benutzte der haftentlassene Carl Friedrich May, an dessen Groschenromanen sich Zeitschriften-Verleger eine goldene Nase verdienten. Als Verfasser „selbsterlebter“ Abenteuer, als Ich-Erzähler Old Shatterhand / Kara Ben Nemsi, als Fantasie-Fabrikant recherchierter Welterkundung gelangte der Aufsteiger aus elenden Kindheitsverhältnissen in den zwei letzten Lebensjahrzehnten dann auch persönlich zu Ruhm und Reichtum. Sein Kosmos der Projektionen, seine Erfolgsmarke wird zur Projektionsfläche für Generationen von Heranwachsenden (und solchen, die das bleiben wollen). Diese rekordverdächtige Popkultur-Vermarktung – 200 Millionen Gesamtauflage in 42 Sprachen – hat den Nachlassbesitzer Mays wohl zu seinem ungewöhnlichen Angebot inspiriert.

Der Bamberger Verleger Lothar Schmid (79) will vom Freistaat Sachsen für 10 Romanmanuskripte (10.000 Seiten), 320 Briefe, für Postkarten, Gedichte, Kompositionen und Pässe des Trivialdichters 15 Millionen Euro. Sollte Sachsen nicht zahlen, droht Schmid mit dem Verkauf seiner Schätze in alle Winde. Er kennt die Verwertungskriegsgeschichten. 1913 beendeten sein Vater, der Jurist Euchar Albrecht Schmid, sowie Klara, die Witwe Mays, und dessen Verleger Fehsenfeld Rechtsfehden um das Erbe mit der Gründung des Karl-May- Verlages.

Klara starb 1944, Urheberrechte hielt nun die Karl-May-Stiftung. Die DDR verwehrte dem „chauvinistischen“ Werk Neuauflagen. 1960 trennten sich Stiftung und Verlag: Die Schmids, mittlerweile in Bamberg, zahlten 50 000 DM, erhielten alle Rechte, den Nachlass, Möbel der „Villa Shatterhand“. Im Westen gründete sich 1969 eine Karl-May-Gesellschaft, die heute (mit Verlag und Stiftung) eine kritische Gesamtedition betreibt. Deren Herausgeber sagt zur „FAZ“, die Romanhandschriften im Nachlass unterschieden sich nur minimal von der Druckfassung. Die Briefe seien eher süßlich nichtssagend. Mit kritischen May-Forschern lagen die Bamberger Gralshüter früher oft im Clinch. Deshalb haben sie wohl die fünfbändige Karl-May-Chronik von Dieter Sudhoff und Hans-Dieter Steinmetz (2005), in der Schmids May-Nachlass bereits verarbeitet ist, lieber gleich selbst herausgegeben.

1992 hatte Lothar Schmid seine Brüder ausbezahlt; 1995 verkaufte er die Möbel der „Villa Shatterhand“, Mays Bibliothek und Kunstgegenstände nach Radebeul zurück, für 3,5 Millionen DM. Den nun angebotenen Nachlass würde Sachsens Kunstministerin Eva-Maria Stange gern in Dresdens Bibliotheken zugänglich machen. Doch ein Berliner Gutachter schätzt den Wert auf eine Million, ein Münchner Gutachter auf sieben Millionen: Darum bietet der Freistaat nur 3,5 Millionen. Lothar Schmid indes ist überzeugt, seine 15 Millionen auf dem Markt zu bekommen, und setzt dabei auf einen Tübinger Gutachter, der allerdings nur Einzelstücke gesehen hat.

Der Abwanderung dieser Sammlung schiebt Bayern einen Riegel vor: Seit März unterliegt sie als schützenswertes Kulturgut dem Ausreiseverbot. Für Karl Mays Liebhaber aber gilt: Seine moralische Weltanschauung braucht, Nachlass hin oder her, nicht neu beschrieben werden. Roger Willemsen hat sie in seiner Gedicht-Edition („Das Meiste von Karl May“) für „Das Vermächtnis des Inka“ pointiert: „Gier nach Gold führt ins Verderben, denn die Goldbesessnen sterben. Du glaubst, das muss nicht sein: Vergiss es. Die Wahrheit ist: Genauso isses.“

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