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Neuer Roman: A.L. Kennedy: Das Leben danach

A. L. Kennedys brillanter Roman „Day“ erzählt von einem Veteranen, der nicht vom Krieg loskommt. Die schottische Autorin macht darin die globale Katastrophe des Krieges anhand eines einzelnen Menschen erfahrbar.

Aus dem Krieg kommt man nie ganz zurück. Wer ihn erlebt hat, für den scheint eine vollständige Rückkehr vom Schlachtfeld und dem dort widerfahrenen Leid nur schwer möglich. In ihrem neuesten Roman „Day“ veranschaulicht die schottische Autorin A. L. Kennedy meisterhaft, wie es einem Menschen ergeht, der irgendwo zwischen Krieg und Frieden hängengeblieben ist, der gegen alle Wahrscheinlichkeit überlebt hat und doch sein Überleben nicht zu akzeptieren, ja nicht einmal zu begreifen vermag.

Alfred Day ist ein junger Mann, als der Zweite Weltkrieg zu Ende geht, doch ein großer Teil seines Lebens scheint bereits vorbei zu sein. Day ist Bordschütze eines Lancaster-Bombers, er absolviert Einsätze im Luftraum über Deutschland. In einem Urlaub lernt er in London im Luftschutzkeller Joyce kennen, die auf Nachrichten von ihrem Mann wartet, der irgendwo im Osten ist. Sie verlieben sich, schreiben sich Briefe. Dann kommen die Einsätze über Hamburg, die nicht nur Alfred zweifeln lassen, ob er noch zu den Guten gehört, schließlich der Absturz über Feindesland und das Kriegsgefangenenlager. Auch dort bekommt Alfred Briefe von Joyce, doch als er nach Kriegsende nach London zurückkommt, geht er nicht zu ihr, sondern verkriecht sich hinter den staubigen Regalen eines Antiquariats.

Die Geschichte Alfred Days ist, bei aller existenziellen Tiefe, sicher wenig originell. Eine ganze europäische Generation teilt seine Erfahrungen, und die Lufteinsätze, die Kriegsgefangenschaft oder das Heimkehren in den Frieden sind bereits unzählige Male erzählt worden. Was Kennedys Roman auszeichnet und von so vielen Kriegserzählungen unterscheidet, ist die Art und Weise, in der sie erzählt. Es geht ihr weniger darum, die Besonderheit eines bestimmten Erlebnisses herauszustreichen. Vielmehr will sie eine geistige Verfasstheit darstellen, die aus diesem oder anderen Erlebnissen resultiert. Deshalb erzählt Kennedy ihre Geschichte nicht chronologisch, sondern nähert ihren Erzählfluss ganz der Gedankenwelt Alfreds an, in dessen Kopf die Vergangenheit, die Gegenwart und eine undenkbar gewordene Zukunft durcheinanderwirbeln, ohne dass er auf einer dieser Ebenen Halt finden würde.

So wechselt das Erzählen nicht nur zwischen den verschiedenen Zeitebenen, sondern auch zwischen dritter, zweiter und einmal der ersten Person, mit eingestreuten Selbstgesprächen Alfreds, alles verfeinert durch Kennedys brillanten Stil. Um die Verwirrung komplett zu machen, setzt die Autorin ihren Helden in der Gegenwartsebene in ein Szenario, das unwahrscheinlich bis zur Surrealität wirkt: 1949 befindet Alfred sich wieder in Deutschland, wieder in einem Kriegsgefangenenlager. Das Ganze ist eine Kulisse für einen Film, für den sich Alfred freiwillig als Komparse gemeldet hat, so wie viele andere Veteranen, die hier eine Art räumliches Stockholm-Syndrom ausleben. Einige von ihnen beginnen sogar wieder damit, heimlich einen Tunnel zu graben, während gleich nebenan Schauspieler bei derselben Aktivität gefilmt werden. Alte Gewohnheiten sterben schwer. Fast schon aufdringlich zeigt der irritierende Schauplatz des falschen Lagers, dass Alfred nicht herauskommt aus dem Krieg, obwohl er ihn in keiner Weise glorifiziert. Er ist nur alles, was er hat. Doch auch wenn er sich am Zusammengehörigkeitsgefühl festklammert, das ihm im Krieg seine Crew gegeben hat, steht dahinter nur die Leere des Verlusts. Die Crew ist tot. Von Anfang an speiste sich ihre Bindung aus der ständigen Nähe des Todes, des eigenen, der als Möglichkeit jeden Einsatz begleitete, aber auch den der anderen, die Nacht für Nacht im Hagel der Bomben sterben. Die Luftwaffe macht Alfred zu einem Mann, aber er ist ein Mann mit einem Loch in der Mitte.

Kennedys Roman ist ein unnachgiebig entworfener Angriff auf das Prinzip Krieg, das nicht nur Tote produziert, sondern auch Lebende, die kaum noch zu leben vermögen. Dieser Angriff findet jedoch nicht mit der zynischen Rhetorik ihrer politischen Essays statt, in denen sie zum Beispiel Tony Blair vorrechnet, wie viel Blut er durch den Irakkrieg tatsächlich an seinen Händen kleben hat – Pint für Pint. Statt dessen benutzt Kennedy die feineren Möglichkeiten des Romans, denen es möglich ist, die globale Katastrophe des Krieges anhand eines einzelnen Menschen erfahrbar zu machen.

A. L. Kennedy: Day. Roman. Aus dem Englischen von Ingo Herzke. Wagenbach Verlag, Berlin 2007. 349 Seiten, 22,90 €.

Sebastian Domsch

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