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Papst: Umwertung der Werte des Westens

Alan Posener, Korrespondent der Zeitung „Die Welt“, untersucht in seinem neuen Buch, wie aus Joseph Ratzingers „abgrundtiefem“ Pessimismus „Benedikts Kreuzzug gegen die Moderne“ wurde.

Mit sieben Jahren ist die Lieblingsbeschäftigung von Joseph Ratzinger „Messe spielen“, seine Lieblingslektüre das Messbuch. Als Zwölfjähriger kommt er ins Priesterseminar, mit 30 ist er Professor. Glaubt man seiner Autobiografie, dann war der einzige Knick in seinem Leben die Ablehnung seiner Habilitation durch den Zweitgutachter. Die erste Begegnung dieses furchtbar weltfremden Mannes mit der Welt, die anders dachte als er, geriet zur Katastrophe. 1968 brüllten ihn Studenten an der Universität nieder. Ratzinger zog sich zurück. Heute ist er Papst und der mächtigste Religionsführer der Welt.

Alan Posener, Korrespondent der Zeitung „Die Welt“, untersucht in seinem neuen Buch, wie aus Joseph Ratzingers „abgrundtiefem“ Pessimismus „Benedikts Kreuzzug gegen die Moderne“ wurde. Entstanden ist keine wissenschaftliche Abhandlung, kein Buch für Liebhaber der Theologie, sondern eine Streitschrift. Eine schonungslose, bisweilen zynische Abrechnung. Posener geht es um den Politiker Ratzinger, den er für gefährlich hält. Weil er die Werte, auf denen unsere liberale Demokratie basiert, umdeuten und die Grundpfeiler unserer Gesellschaft umstoßen wolle.

Sei es die Gleichberechtigung von Mann und Frau, die sexuelle Selbstbestimmung aller Menschen, die Freiheit der Wissenschaft oder die Trennung von Staat und Kirche – Benedikt sieht in den Errungenschaften der Moderne nichts als eine gigantische „Diktatur des Relativismus“, wie der Autor mit reichlich Zitaten aus Papst- und Bischofsreden belegt.

Poseners Abrechnung mit dem Papst ist zugleich eine leidenschaftliche Verteidigung unserer Demokratie: Dass für aufgeklärte Zeitgenossen Homosexuelle keine schlechteren Menschen sind als Heteros, dass sich auch Bischöfe verspotten lassen müssen und sich Paare scheiden lassen, beruht darauf, dass es im öffentlichen Leben keine unhinterfragbare Instanz mehr gibt und schon gar keine göttliche Wahrheit. Um die Spielregeln wird gerungen und gestritten. So ist Demokratie. Sie basiert auf Toleranz, Vertrauen und darauf, dass nicht eine Meinung alles ist, sondern alle Meinungen relativ sind. Dieses Abwägen, Relativieren, das für Posener sozusagen das Schmieröl unseres Gesellschaftssystem ist, das sei für den Papst das Schlimmste überhaupt. Denn Benedikt unterstelle jedem Menschen, dass er sich im Zweifel für das Böse entscheidet. Die westliche Konsumgesellschaft diffamiere er als „Kultur des Todes“. Nur die Unterwerfung unter die Dogmen der katholischen Kirche könne das taumelnde Abendland retten, denkt Benedikt, wie Posener glaubhaft belegt.

Auch die Vernunft – neben der Fähigkeit zur Relativierung das zweite Fundament der Moderne – versuche Benedikt umzudeuten, indem er sie der Aufklärung abspreche und allein der katholischen Kirche zuschlage. Schließlich war am Anfang das Wort, der Logos, die Vernunft. Der christliche Gott sei die pure Ratio, so Benedikt, Christus die fleischgewordene Vernunft und der Vatikan die Hüterin des Ganzen. Und wenn das Vernünftige an kirchlichen Dogmen wie der Unfehlbarkeit des Papstes oder der Unbefleckten Empfängnis nicht ohneWeiteres erkennbar ist, dann sind nicht etwa die Dogmen daran schuld, argumentiere der Papst, sondern unsere Augen. Die katholische Kirche werde so zu einer Art „Persil für die grauverschleierte Ratio“, kommentiert Posener bissig.

Posener hält das Denken des Papstes nicht nur für „irregeleitet“, sondern auch für „menschenverachtend“. Er weist ihm eine schon jahrzehntelang währende „Unempfindlichkeit“, ja „Wurschtigkeit“ gegenüber den Juden nach und zeigt, dass Benedikts Sympathien für die reaktionären, antisemitischen Pius-Brüder keineswegs ein Ausrutscher sind, sondern Kalkül. Denn die Brüder hielten genauso wenig von der liberalen Demokratie, von den Grundprinzipien des säkularen Staates, von Toleranz, Selbstbestimmung und Gleichberechtigung aller Menschen wie der oberste Meister im Vatikan.

Es ist wohltuend, dass da mal einer nach den Jubelarien zu Beginn von Benedikts Amtszeit das Denken dieses Papstes ordentlich gegengebürstet hat. Man wünscht sich allerdings doch, der Autor hätte wenigstens manchmal deutlich gemacht, dass auch dieser Papst noch eine andere, den Menschen zugewandte Seite hat, wenn sie auch leider nicht die ist, die ihn leitet. Sie kam in seiner ersten Enzyklika „Deus caritas est“ zum Vorschein, die einen optimistischen, fast zärtlichen und leisen Ton anschlägt und den erhobenen Zeigefinger außen vor lässt. Bisweilen trifft Alan Poseners Zorn auch zu Unrecht alle religiösen Menschen. So sortiert er etwa auch den früheren Verfassungsrichter Ernst-Wolfgang Böckenförde in die Fundi-Ecke ein.

Poseners Unmut ist groß. Man könnte denken, es handle sich um enttäuschte Liebe. Der Journalist beschäftigt sich seit Jahren mit religiösen Fragen und hat ein Buch über die Marienbilder der katholischen Kirche geschrieben. Er habe sich auf die Begegnung mit diesem Mann gefreut, schreibt Posener. „Aber je näher ich ihm kam, desto kleiner erschien er mir.“

– Alan Posener: Benedikts Kreuzzug. Der Angriff des Vatikans auf die moderne Gesellschaft. Ullstein Verlag, Berlin 2009. 269 Seiten, 18 Euro.

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