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Per Petterson: Ich verfluche den Fluss der Zeit

Gegen die Angst: Für Per Pettersons Beziehungsdrama muss man stark sein. Die Romane des großen Stilisten machen Vergnügen, die sanfte, glamoröse Schwermut dieser Prosa geradezu süchtig.

Der norwegische Schriftstellr Per Petterson ist kein Freund von großen Schnörkeln. In seinem neuen Roman „Ich verfluche den Fluss der Zeit“ geht es gleich auf der ersten Seite zur existenziellen Sache. Eine Frau erfährt, dass sie Krebs hat, Magenkrebs, nicht Lungenkrebs, wie sie es immer befürchtet hatte: „Was für eine Zeitverschwendung!“, entfährt es ihr. Und auch ihr 37-jähriger Sohn Arvid, der Ich-Erzähler des Romans, muss ein schweres Päckchen tragen, er steht kurz vor der Scheidung von seiner Frau, mit der er zwei Töchter hat: „An manchen Tagen schaffte ich es nicht von der Küche ins Bad, ohne zwischendurch mindestens einmal auf die Knie zu gehen, bevor es mir gelang, mich wieder zusammenzureißen und den Weg fortzusetzen.“

Für diesen Roman muss man stark sein, ganz stark, wie schon für Per Pettersons letzten ins Deutsche übertragenen Roman „Im Kielwasser“, in dem ein Schriftsteller den Tod seiner Eltern und zweier seiner Brüder bei einem Schiffsunglück sowie die Trennung von seiner Frau (und zwei Töchtern!) zu verarbeiten versucht. Wiewohl bei aller Umstandslosigkeit dieses Mal lange nicht ersichtlich wird, was für eine Geschichte Petterson nun erzählen will: die der Mutter oder die ihres Sohnes? Und dass es eben genau um die Beziehung beider geht, eine zerrüttete Mutter-Sohn-Beziehung, was alles nicht einfacher macht. Aber eben auch um Alter und Jugend, um zwei Leben, die nicht wirklich gelungen, aber auch nicht wirklich verfehlt sind, um das Band der Liebe, das mal mehr, mal weniger lose ist, und um das Band der Zeit, das so fest wie kein anderes ist. Den Romantitel „Ich verfluche den Fluss der Zeit“ hat Petterson einem Gedicht Maos entnommen, von dem sein Erzähler als junger Mann ein großer Fan ist, nicht zuletzt dieses Gedichtes wegen, „weil es einen menschliche Mao zeigte, einen, dem ich mich verbunden fühlte, einen, der spürte, wie die Zeit seinen Körper heimsuchte, wie ich es selbst viele Male gespürt hatte, wie mir die Zeit überraschend in die Quere kommen konnte und plötzlich unter der Haut wie winzige Elektrostöße wütete.“

In die Zeit zurück begibt sich Per Pettersons Held immer wieder, indem er erzählt, wie er sich von seinem Elternhaus lossagt und statt zu studieren in einer Fabrik zu arbeiten beginnt, wie er für die Arbeiterpartei Norwegens tätig ist und sich gewerkschaftlich engagiert, wie er sich in eine junge Frau verliebt, eine Schülerin. Per Petterson blendet vor und zurück, lässt Arvid seinen Erinnerungen aus dem Oslo der siebziger Jahre nachhängen und begibt sich im Wechsel ins Jahr 1989, in dem Arvids Mutter ihre Krebsdiagnose erhält und daraufhin in ihr Heimatdorf im dänischen Ostjütland fährt. Ihr Sohn folgt ihr nach, in dem Glauben, ihr beistehen zu müssen, wozu er gar nicht fähig ist, zu schwer sind die Verwerfungen zwischen ihm und der Mutter.

Es ist das Jahr, in dem auf dem Tiananmen-Platz chinesische Studenten demonstrieren und ihr Leben verlieren, in dem Gorbatschow die Sowjetunion umbaut und schließlich die Mauer in Deutschland fällt, und es wirkt mitunter etwas bemüht, wie Petterson seinem Roman über eine Mutter-Sohn-Beziehung eine historische Dimension zu verleihen versucht und die Mutter am Ende sagen lässt: „Nein, ich habe keine Angst vorm Sterben. Aber ich will, verdammt noch mal, jetzt noch nicht sterben.“

Anderseits folgt er damit auch nur der inneren Logik seiner Erzählung, gehören die politische Verblendung seines juvenilen Helden und eben jener unerbittliche Fluss der Zeit, der historische Wandel, das individuelle Scheitern einfach zusammen. Und genauso macht die Zeit auch vor menschlichen Beziehungen nicht halt, selbst vor der Schönheit nicht: „Und es war nicht zu fassen, dass so etwas Schönes gänzlich zermalmt werden konnte und zu nichts wurde.“ Sätze wie dieser haben was leicht Manieriertes, eine extrastarke Prise Hemingway. Trotzdem ist Petterson natürlich ein großer Stilist, sind seine Romane allein wegen seiner von Ina Kronenberger fein ins Deutsche übertragenen rhythmischen Sätze ein einziges Vergnügen, macht die sanfte, glamouröse Schwermut dieser Prosa geradezu süchtig.

Es ist dann auch nur ein Schönheitsfehler, dass die Figurenkonstellation dieses Romans der von „Im Kielwasser“ ähnelt, dass auch hier der Tod eines Bruders von Arvid mit im Familienspiel ist und die Lebensdaten Arvids nicht zuletzt mit denen des Autors übereinstimmen. Auch für Petterson dürfte gelten, was Wilhelm Genazino einst einer seiner Figuren (und wohl nicht zuletzt sich selbst) ins Stammbuch schrieb, nämlich „dass wir unsere eigene Geschichte immer wieder erzählen müssen, und nach jedem Erzählen glauben, wir hätten sie noch nicht richtig erzählt“. Möge Per Petterson also seine Geschichte noch lange nicht richtig erzählt haben. Seine Leser werden es ihm danken.

Per Petterson: Ich verfluche den Fluss der Zeit. Roman.

Aus dem Norwegischen von Ina Kronenberger. Hanser Verlag, München 2009.

239 Seiten, 17, 90 €.

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