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Politische Literatur: Der Markt ist unschuldig

Bücher zur Krise: Drei mehr oder weniger erhellende Werke über die Krise des Kapitalismus – und dessen Zukunft.

Die beginnende Wirtschaftskrise führt nicht zu besonders vielen neuen Einsichten. Den meisten Autoren, Politikern und Ökonomen dient sie als Beleg für Meinungen, die sie schon lange vertreten, nun aber umso lauter vortragen. Auf der einen Seite des politischen Spektrums wird nun das – aus Gründen der Staatsräson? – über Jahre unterdrückte Unbehagen mit dem marktwirtschaftlichen System offen ausgesprochen. Manch einer besinnt sich lustvoll auf revolutionäre Posen der 70er Jahre. Jedenfalls hat sich binnen weniger Monate ein Konsens bis weit ins bürgerliche Lager formiert, dass der freie Markt die Krise verursacht habe.

Auf der anderen Seite des Spektrums ist es nicht besser, wie das neue Buch von Friedrich Merz zeigt. Schon der Titel „Mehr Kapitalismus wagen“ ist wohl als Provokation gemeint. Dem CDU-Politiker ergeht es damit wie einem Schulbub, der eine witzig gemeinte, aber total peinliche Bemerkung in die Klasse ruft – plötzlich herrscht betretene Stille, der Zwischenrufer möchte im Erdboden versinken. Aber Merz sieht stolz in die Runde.

Im Sommer hat er das Buch abgeschlossen, also vor der Lehman-Pleite, aber doch zu einem Zeitpunkt, als das Ausmaß der Krise zunehmend deutlich wurde. „Trotz ihrer Funktionsfähigkeit geben auch Kapitalmärkte nicht immer die richtigen Signale“ – von solchen simplizistischen, noch dazu sprachlich verunglückten Einsichten wimmelt das Buch. Manche Passagen sind richtig gehend ärgerlich, etwa wenn Merz empfiehlt, die Altersversorgung der Deutschen stärker auf Aktien und Fonds zu stützen. Einen schlechteren Rat kann man derzeit kaum geben. Wer Merz wohlwollend liest, wird sagen, dass sein Buch leider zum falschen Zeitpunkt kommt.

Das kann man von einem anderem Buch nicht sagen, das ebenfalls das böse K-Wort im Titel führt: „Der Crash des Kapitalismus“ kommt exakt zu rechten Zeit – es ist so etwas wie das Buch zum Film. Der Journalist Ulrich Schäfer beschreibt den Hergang der Krise wie in einem spannenden Krimi. Dutzende von Büchern und nach eigenen Angaben etwa 1100 Artikel zieht er heran, um zu belegen, dass die Krise den vorläufigen Schlusspunkt einer über Jahrzehnte währenden Deregulierung der Märkte markiert. Den Anfang datiert er auf den 15. August 1971, als US-Präsident Richard Nixon das Ende der festen Wechselkurse verkündete.

Man darf bezweifeln, ob diese eine Fernsehansprache zwangsläufig zur Lehman-Pleite führen musste. Vermutlich gibt es die Linearität nicht, die Schäfer unterstellt; außerdem kommen bei ihm zwei entscheidende Determinanten der Weltwirtschaft zu kurz: der Aufstieg der Schwellenländer, der zwangsläufig die Entwicklung der Industriestaaten langfristig schwächt, und – damit verbunden – der sich wandelnde globale Energiemarkt.

Aber Ulrich Schäfer hat ein spannendes, kenntnisreiches Geschichtsbuch vorgelegt, in dem entscheidende Akteure und Momente anschaulich beschrieben werden. Es reicht stellenweise an das gerade in einer neuen Auflage auf Deutsch erschienene Standardwerk des US-Ökonomen John Kenneth Galbraith, „Der große Crash 1929“, heran – größer kann das Lob kaum ausfallen.

Weniger überzeugend ist Schäfers Buch dann, wenn es die Anschauung zu Theorie und Programm zu verdichten sucht. Während in der Weltpolitik noch ein Gipfel den anderen jagt, hat Ulrich Schäfer schon 22 Regeln als Rezept gegen künftige Marktexzesse formuliert. Nun muss es kein Einwand sein, dass sie zum Teil seinen eigenen Kommentaren früherer Jahre widersprechen. Auch Journalisten lernen dazu, wohl wahr. Aber Forderungen wie ein Mindestlohn oder eine höhere Erbschaftsteuer sind keine zwingenden Instrumente gegen Wirtschaftskrisen. Es gibt gute Gründe, dafür oder dagegen zu sein, aber mit der aktuellen Lage hat das wenig zu tun.

In einem hat Schäfer sicher recht: Die Zeit, dass man die Welt in Keynesianer und Neoliberale unterteilt, ist vorbei. Er spricht vom „neuen Pragmatismus“, der nach der Wissenschaft nun die Politik erfasse. „Letztlich braucht also eine erfolgreiche Wirtschaft beides: einen Staat, der im Krisenfall beherzt eingreift und der zugleich dafür sorgt, dass die Wirtschaft sich innerhalb klar definierter Grenzen möglichst frei entfalten kann“, schreibt er. Oder, um mit dem Ökonomen Thomas Straubhaar zu sprechen: „In schlechten Zeit so viel Staat wie nötig, in guten Zeiten so wenig Staat wie möglich.“

So gesehen hat die Welt gerade ein Versagen des Staates, nicht ein Versagen des Marktes erlebt. Es fehlte an Regulierung, es fehlte an jenen definierten Grenzen. Das war auch 1929 so, wie Galbraith eindrucksvoll beschreibt. Was die heutige von der damaligen Krise unterscheiden könnte, sind die Lehren, die der Staat aus dem eigenen Versagen zieht. „Die Entschlossenheit, einer ernstlichen Depression sicher und angemessen zu begegnen, bedarf noch ihrer Feuertaufe“, schrieb Galbraith. Wer weiß schon, ob es diesmal gelingt. „Aber es ist ein beträchtlicher Unterschied, ob es einem misslingt, ausreichend Richtiges zu tun, oder ob man entschlossen ist, alles falsch zu machen“, urteilte der Altmeister.

– Ulrich Schäfer: Der Crash des Kapitalismus. Warum die entfesselte Marktwirtschaft scheiterte und was jetzt zu tun ist. Campus Verlag, Frankfurt am Main 2008, 326 Seiten, 19,90 Euro.

Friedrich Merz: Mehr Kapitalismus wagen. Wege zu einer gerechten Gesellschaft. Piper Verlag, München 2008, 216 Seiten, 19,90 Euro.

John Kenneth Galbraith: Der große Crash 1929. Ursachen, Verlauf, Folgen. Finanzbuchverlag, München 2008, 238 Seiten, 14,90 Euro.

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