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Politische Literatur: Die erste Front

Missbrauchte Hauptstadt: Thomas Friedrich schildert die „Eroberung“ Berlins durch die Nazis.

Als „wichtigste Bauaufgabe des Reiches“ bezeichnete Adolf Hitler die Neugestaltung Berlins Ende Juni 1940. Wenige Tage zuvor war Frankreich im „Blitzkrieg“ niedergerungen worden, nun sollte Berlin den „durch die Größe unseres Sieges zukommenden Ausdruck als Ausdruck eines starken neuen Reiches erhalten“.

So weit ist die Geschichte der Beziehung Hitlers zu Berlin wohlbekannt. Dabei wird bis heute stillschweigend unterstellt, die Metropole sei „von der braunen Provinz besetzt“ worden. Mit dieser Legende räumt jetzt Thomas Friedrich in seinem Buch „Die missbrauchte Hauptstadt“ auf. Den seit vielen Jahren als Berlin-Historiker hervorgetretenen Autor des Jahrgangs 1948 verwunderte die Tatsache, dass es „über sechs Jahrzehnte nach dem Ende des ,Dritten Reiches’ keine Gesamtdarstellung der Geschichte der NSDAP in Berlin gibt, ausgerechnet der Stadt, die von der Partei erst ,erobert’ werden musste“. Genau diese Eroberungsgeschichte liefert Friedrich – und mehr als das. Denn zugleich widerlegt er die gängige Meinung, Hitler sei ein notorischer Feind der Großstadt gewesen: „Hitlers nicht zu verleugnende Abneigung gegenüber bestimmten Erscheinungsformen der Kultur der Weimarer Republik, wie sie vor allem in Berlin vorzufinden waren, wurde“ – in der bisherigen Literatur – „gerne als Beleg für seine generelle Abneigung gegenüber Berlin ins Feld geführt.“

Hitler besuchte in Berlin mit Vorliebe die Museen

Friedrich weist demgegenüber nach, dass Hitlers frühe Besuche in Berlin, der erste als verwundeter Meldegänger von der Somme-Front Anfang November 1916, durchaus von Neugierde gegenüber der Reichshauptstadt getragen waren: Hitler besuchte mit Vorliebe die Museen. Die sozialen Zustände, denen er später in „Mein Kampf“ dramatische Passagen widmete, interessierten ihn bei weitem nicht im selben Maße. Erst aus der Rückschau weiß er, dass „in Deutschland das größte Gaunerstück des ganzen Krieges“ ausbrach: „Man organisierte den Munitionsstreik.“ Das Erleben dieser frühen Besuche der Jahre 1916–18 ist ein anderes. Friedrich schlägt den Bogen zum „Führerhauptquartier“, wo Hitler im Oktober 1941 erklärt: „Berlin habe ich immer gern gehabt, und wenn es mich kümmert, dass vieles da nicht schön ist, so nur, weil mir die Stadt etwas bedeutet.“

All das ist gewissermaßen das Präludium zu der ungeheuer materialreichen Geschichte, die der Autor im Folgenden erzählt: die des Aufstiegs der NSDAP von einer verlachten süddeutschen Splitterpartei zur von hunderttausenden Braunhemden getragenen Macht in Berlin. Die Hauptperson: Joseph Goebbels. 1925, nach einer seiner ersten Begegnungen mit Hitler, schreibt der künftige „Propagandaminister“ Berlins lakonisch ins Tagebuch: „Der geborene Volkstribun. Der kommende Diktator.“ Aufschlussreich ist, dass es Goebbels war, der knapp zehn Jahre Jüngere, der in Berlin „eine entsetzliche Steinwüste“ erblickt, mit „entsetzlichen Menschen“ – ganz anders als Hitler. Ende 1925 wird Goebbels der neue „Gauleiter“ für Berlin, der nach eigenem Bekunden „den Augiasstall ausmisten“ soll, den der in innerparteilichen Rivalenkämpfen zerstrittenen NSDAP nämlich: „In die große Asphaltwüste Berlin!“

Unter den Augen der Republik wächst die braune Gegenmacht

Was Friedrich im Folgenden ausbreitet, ist eine minutiöse Geschichte der „Eroberung“ Berlins. In diesen Kapiteln hat das Buch seine größten Stärken, zeigt es doch die zielgerichteten Aktionen der Nazis zu einer Zeit, die doch als „Stabilitätsphase“ der Weimarer Republik gilt – und nicht erst in den Krisenjahren ab 1929. Es zeigt das Anwachsen einer Gegenmacht unter den Augen der Republik, die die drohende Gefahr nicht durchweg verkennt, jedoch herunterspielt und völlig unzureichend reagiert.

In der Endphase der Weimarer Republik gebot die NSDAP über 400 000 Uniformierte – und noch immer glaubte die Republik, der Militarisierung mit formalen Maßnahmen und halbherzigen Verboten Herr werden zu können. Die Notverordnung vom April 1932 trifft auf eine bestens organisierte Gegenmacht, die in „Sportverein“ umbenennt, was zuvor „SA-Sturm“ war. Und (angeblich) 25 000 Anhänger empfangen Hitler im Sportpalast, jenem unrühmlichen Ort, der ein Jahrzehnt darauf mit Goebbels’ Rede zum „Totalen Krieg“ seine traurige Berühmtheit erlangen sollte. Den „Preußenschlag“ im Juli 1932, die Ausschaltung der letzten Bastion des demokratischen Deutschland, und das Ausbleiben jeglicher Verteidigung kommentiert Goebbels ebenso knapp wie treffend: „Die Roten haben ihre große Stunde verpasst. Die kommt nie wieder.“

"Reichskanzler, Oberbürgermeister, Stadtbaurat und Chefarchitekt Berlins in Personaluninon"

Sie kam in der Tat nicht wieder. Friedrich lässt es mit der faktischen Machtübernahme vom Juli 1932 nicht sein Bewenden haben, sondern zeichnet zugleich die symbolische Machtübernahme in allen Details nach. Es ist gerade die Folgerichtigkeit, welche die sorgfältig orchestrierten Aktionen der Nazis zusammenbindet, die die Erzählung so bedrückend macht. Nirgends Widerstand, sondern überall Einverständnis, eine Stadt, die ab Januar 1933 nur darauf wartet, von Hitler angewiesen zu werden; und sei es nur der Streit um die Linienführung der S-Bahn, dessen Schlichtung Hitler zu einer ausgreifenden Darlegung seiner Hauptstadtvorhaben nutzt. Mitnichten erst die späteren Kriegserfolge lassen Hitler von der Umgestaltung Berlins schwadronieren. Berlin müsse „auf eine solche Höhe gebracht werden, dass es mit allen Hauptstädten der Welt konkurrieren kann“, erklärt er am 19. September 1933.

Bald darauf, schreibt Friedrich, „gerierte sich Hitler, als sei er Reichskanzler, Oberbürgermeister, Stadtbaurat und Chefarchitekt Berlins in Personalunion“. Das ist insofern weit mehr als eine Floskel, als die detaillierte Schilderung einer die gesamte Stadtplanung umfassenden Sitzung vom 29. März 1934 belegt, dass Hitler „sich mit Fragen des Stadtbildes und der Stadtplanung keinesfalls erst in jüngster Zeit beschäftigt haben konnte“. Aus dieser Perspektive erscheint Albert Speer, der spätere „Generalbauinspektor für die Reichshauptstadt“, als Erfüllungsgehilfe Hitler’scher Pläne, statt – wie üblich – als genialer Architekt, der Hitlers undeutliche Absichten in präzise Vorhaben gegossen hätte.

Aber dies ist bereits der Epilog des Buches, in dem die hinlänglich bekannten Planungen für die Reichshauptstadt nur mehr am Rande vorkommen. Letztmalig empfängt Hitler Mitte 1935 Vertreter der Stadt, bevor Speer zu seinem alleinigen Ansprechpartner in Sachen Stadtplanung und Architektur wird. Die Stadtoberen bescheidet er brüsk, er müsse sich nunmehr „ausschließlich mit außenpolitischen Fragen beschäftigen“. Im Klartext: Hitler plante den Krieg. Die Reichshauptstadt ging darin im Bombenhagel unter.

Am morgigen Dienstag (3. Juli) hält Thomas Friedrich im Berliner Gropius- Bau einen Vortrag zum Buch (20 Uhr, Niederkirchnerstr. 7). Der Eintritt ist frei.

– Thomas Friedrich: Die missbrauchte Hauptstadt. Hitler und Berlin. Propyläen Verlag, Berlin 2007. 623 Seiten, 26 Euro.

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