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Politische Literatur: Nest von Spionen

Das "organisierende Zentrum der Weltrevolution": Alexander Vatlins Geschichte der Kommunistischen Internationale.

In diesem an Jubiläen reichen Jahr ist im März der 90. Gründungstag der Kommunistischen Internationale, besser bekannt unter ihrer russischen Kurzform Komintern, kaum registriert worden. Angesichts des Zusammenbruchs der Staaten, deren Ursprung mit dieser Institution in Verbindung steht, ist dieses Vergessen nicht ganz überraschend. Während des langen Zeitraums der internationalen Systemkonkurrenz war das natürlich anders, obwohl man sich die in den vergangenen Jahrzehnten des „sozialistischen Lagers“ herrschenden Bürokraten nur schwer in der Gestalt der asketischen Berufsrevolutionäre der kommunistischen Gründerzeit vorstellen konnte.

Im Gefolge der Gründungszusammenkunft im März 1919 in Moskau, in dem vom Bürgerkrieg durchtobten und von der übrigen Welt abgeschnittenen Russland, schien jedenfalls etwas Gestalt anzunehmen von dem, was in den Tagen von Karl Marx noch ein Gespenst gewesen war. Als „organisierendes Zentrum der Weltrevolution“, so das Selbstverständnis, galt die Komintern nun überall dort als Drahtzieher, wo es Formen von Aufruhr gegen die bestehenden Verhältnisse gab. Das zumindest war der Albtraum nicht weniger Politiker im Westen, die damit viel zu oft laute Verkündigungen für Realität hielten. Für Hitler und Mussolini gar war die Komintern, gegen die sie einen besonderen Pakt mit Japan schlossen, Vorwand für ihre Expansionspläne. Tatsächlich hatte Stalin sie aber schon Anfang der 30er Jahre nach seinem Sieg im innerbolschewistischen Fraktionskampf zu einer Art Grenzwache der Sowjetunion (laut seinem wichtigsten innerparteilichen Gegner Trotzki) degradiert. Er misstraute ihr als potenziellem Störfaktor für seine diplomatischen Pläne. Unter dem Vorwand, ein „Nest von Spionen“ zu beseitigen, ließ er viele ihrer „Kader“ umbringen und löste sie schließlich auf dem Höhepunkt des Zweiten Weltkriegs im Jahre 1943 als Geste gegenüber seinen westlichen Alliierten auf.

Ihre Geschichte war jahrelang geheimnisumwittert. Jahrzehntelang konnte sie nur aufgrund ihrer einstigen Veröffentlichungen oder anhand von Memoiren vor allem von „Ehemaligen“, nicht selten in der Pose des abrechnenden Renegaten insbesondere während des Kalten Krieges verfasst, wenn nicht gar auf der Grundlage von Polizeiakten geschrieben werden. Seit dem Zusammenbruch der Sowjetunion steht nun allerdings ihr eigenes Archiv offen, das nach ihrer Auflösung ins sowjetische Parteiarchiv verbracht worden war. Bis 1991 hatten allenfalls ausgewählte kommunistische Forscher einen sehr begrenzten Zugang.

Der Moskauer Historiker Alexander Vatlin gehörte dann nach dem Ende der Sowjetunion zu den Ersten, die die neuen Zugangsmöglichkeiten für umfangreiche Forschungen nutzten. Noch jüngst gab er zusammen mit dem Berliner Historiker Wladislaw Hedeler eine Dokumentation zur Gründungskonferenz vom März 1919 heraus („Die Weltpartei aus Moskau“, Akademie-Verlag, Berlin 2008).

Der hier vorliegende Sammelband fasst nun eine Reihe von im Laufe der Jahre entstandenen Aufsätzen des Verfassers zum Thema zusammen. Zum Teil wurden sie einem größeren Publikum nicht vertrauten Fachzeitschriften entnommen, zum Teil sind sie zum ersten Male ins Deutsche übertragen. Sie wollen keine Gesamtdarstellung der Komintern-Geschichte geben. Stattdessen heben sie wesentliche Momente ihrer Existenz heraus, schlagen dabei aber den Bogen von ihrer Entstehung am Ende des Ersten Weltkriegs bis zu ihrem blutigen Untergang in den Stalin’schen „Säuberungen“.

Besonders beleuchtet werden zunächst die Umstände der Gründungskonferenz. Weitere Themen sind die Wechselbeziehungen mit der internationalen Sozialdemokratie Anfang der 20er Jahre, damit die Entstehung der kommunistischen Einheitsfrontpolitik, die Programmdebatten der Komintern und das Schicksal der deutschen Kommunisten im sowjetischen Exil. Einen besonderen Schwerpunkt betreffen die Bemühungen der sowjetischen Kommunistischen Partei, die Kontrolle über die „Weltpartei“ mit den verschiedensten organisatorischen Maßnahmen herzustellen und zu sichern, um ehemalige oder auch nur vermeintliche Abweichler zu disziplinieren und schließlich auszuschalten.

Vatlin entwickelt die Komintern-Geschichte vor allem als eine deutsch-russische Wechselwirkung. Das spiegelt zweifellos die unmittelbare Erwartungshaltung Lenins und Trotzkis im Jahre 1919 wieder. Deutschland war das industriell am weitesten entwickelte Land des Kontinents mit der bestorganisierten Arbeiterbewegung, die das Vorbild für die Bolschewiki geliefert hatte. Nun verfügte es über die stärkste KP außerhalb Russlands. Ein solch deutsch-russischer Fokus hat zwar durchaus gewichtige Argumente für sich und drückt vor allem auch das Forschungsinteresse des Deutschlandexperten Vatlin aus. Doch hatte sich schon früh die kommunistische Strategie erweitert und wurde der Blick auf andere Länder und Kontinente gerichtet, so etwa auf China seit Mitte der 20er Jahre, nach 1933 auf Frankreich und dann Spanien. Dazu findet man hier leider nichts. Insofern ist diese Darstellung zwar exemplarisch, aber doch nur ein Ausschnitt aus der Geschichte des organisierten internationalen Kommunismus.

Deren wesentliche Grundzüge werden allerdings deutlich. Vatlin zeigt, wie schon sehr schnell der „weltrevolutionäre“ Impuls verloren ging und nur noch das sowjetische Staatsinteresse bestimmte, zu dessen Gunsten die Komintern schließlich „eingestellt“ wurde.

– Alexander Vatlin: Die Komintern.

Gründung, Programmatik, Akteure.

Karl-Dietz-Verlag,

Berlin 2009.

366 Seiten, 29,90 Euro.

Reiner Tosstorff

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