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Politische Thriller: Die Fiktion des Terrors

Literarischer Kollateralschaden: Kolja Mensing über politische Thriller aus deutscher Produktion - nicht alles geht gut aus.

Jede Katastrophe hat ihren Markt. Der 11. September zum Beispiel hat zu einer erhöhten Nachfrage nach politischen Thrillern geführt. Also wird kräftig produziert. Die meisten Titel kommen aus den USA, aber seit einigen Jahren gibt es Versuche, das US-Genre-Modell auch in Deutschland nachzubauen. Vorreiter war Jacques Berndorf, der in den neunziger Jahren mit betulichen Eifel-Krimis bekannt geworden war, um 2005 mit „Ein guter Mann“ eine Reihe um den BND-Agenten Karl Müller zu starten: ein deutscher Superbeamter, der in einem maßgeschneiderten Anzug von einem Krisenherd zum nächsten jettet und sich mit schmutzigen Bomben, nordkoreanischen Waffenhändlern und islamistischen Terrorzellen herumschlagen muss.

Am Ende geht allerdings immer alles gut aus, und Karl Müller kann besten Gewissens bei der Personalstelle seine Reisekostenabrechnung einreichen. Autoren wie Marc Kayser legen da schon eine härtere Gangart ein. Berndorfs jüngerer Kollege hat die deutsche Antwort auf Jack Bauer geliefert. Sein Undercover-Agent Markus Croy ist ein Terroristenjäger, der 24 Stunden am Tag für eine paramilitärische Spezialeinheit im Einsatz ist, seitdem die weltweiten Umverteilungskämpfe auch Westeuropa erreicht haben: Ökoterrorismus, Hightech-Waffen und semifiktive Bedrohungsszenarien, das ist das Material, aus dem Kaysers Global-Action-Thriller „Trias“ (2007) und „Hexagon“ (2009) gemacht sind. Es bietet sich natürlich an, die aktuelle Nachrichtenlage zur Katastrophe hochzurechnen. Was wäre, wenn die internationalen Kriegseinsätze der Bundeswehr in einer Welle terroristischer Gewalt an der Heimatfront enden würden?

Im letzten Jahr sind dann auch gleich zwei „worst case“-Romane erschienen. Karl Olsberg, der in seinem früheren Leben Geschäftsführer eines Rüstungsunternehmens war, lässt für „Schwarzer Regen“ kurzerhand in Karlsruhe (!) eine Atombombe explodieren, und Christian Schoenborn löst in „Operation Ismael“ eine verheerende Pockenepidemie in Deutschland aus. Die hiesigen Autoren können also, was das Bedrohungspotenzial angeht, locker mit ihren amerikanischen Vorbildern mithalten.

Doch auch der literarische Kollateralschaden ist der gleiche. Zumindest bei mir hat sich der gleiche Abnutzungseffekt eingestellt wie nach der Lektüre der letzten Thriller aus dem Tom-Clancy-Umfeld: Es war mir schnell egal, welche Mittelstadt als nächste dem Erdboden gleich gemacht wird. Zuletzt überzeugte mich darum die postapokalyptische Lösung am meisten: In Markus Stromiedels Roman „Feuertaufe“ (Knaur Taschenbuch, München 2010. 494 S., 8,95 €) hat Deutschland den ersten Schrecken bereits hinter sich.

Nach einer Serie von Terroranschlägen in Berlin, Hamburg und Wiesbaden hat der Staat aufgerüstet, allerdings nicht mit Waffen, sondern mit Überwachungstechnologie und gelockertem Datenschutz. Das BKA hat unter dem Berliner Hauptbahnhof eine geheime Informationszentrale eingerichtet, in der Telefonverbindungen abgeglichen, bargeldlose Transfers verfolgt und Bilder von CCTV-Kameras ausgewertet werden. Die Vorratsdatenspeicherung war nur der Anfang: Stromiedel – erst Journalist, dann Drehbuchautor und Schriftsteller – entwirft in „Feuertaufe“ das Bild eines Landes, in dem Wolfgang Schäubles kühnste Träume wahr geworden sind. Das ist der Hintergrund. Dann wird in Berlin ein Brandanschlag auf ein Mietshaus ausgeübt. Kommissar Paul Selig soll die Ermittlungen übernehmen, aber er merkt schnell, dass er von seinen Vorgesetzten nur pro forma auf den Fall angesetzt worden ist. Die Schuldigen stehen längst fest, denn das Innenministerium will die Gelegenheit nutzten, um in der Bevölkerung die Angst vor islamistischen Attentätern zu schüren und im Bundestag die nächsten Gesetzesänderungen durchzupeitschen. Action gibt es auch, aber das ist nicht der Punkt.

Es ist die Rhetorik der Minister und Staatssekretäre – „Freiheit“, „Sicherheit“ und „Schutz der Bevölkerung“ –, die einem nur zu vertraut vorkommt. Genau darum wirkt dieser Thriller so bedrohlich: Markus Stromiedel interessiert sich nicht für den Terror, sondern für die Fiktion des Terrors, mit der auch in Deutschland Politik gemacht wird.

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