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Pop-Roman: Bis ins Mark verfeinert

Schillerndes, unbeschreibliches Teheran: Tirdad Zolghadrs Roman "Softcore" beschreibt den Grauschleier einer Stadt zwischen Aufbruch und Steinzeit, zwischen Pop und Gottesstaat.

Für den Erzähler von Tirdad Zolghadrs Debütroman „Softcore“ ist das Teheran dieser Tage nicht nur eine okaye und dem gemeinen westlichen TV-Konsumenten komplett unbekannte Stadt, sondern gleich ein „fabelhafter Glücksfall“. Denn es gibt hier internationale Filmfestivals, Westcoast-Hip-Hop, Nike, Puma und Swatch, es gibt hier Jim-Jarmusch-Retros, eine Heavy-Metal-Szene, „verwöhnte Jugendliche in Papas BMW-Cabrio“ und eine „chi-chi Nordteheraner Kunstszene“, wie er weiß. Und dass das wirklich ein Glücksfall ist, erschließt sich dadurch, dass er aufzählt, was es nicht gibt: „Aber man wird weder ein Hard-Rock- Café noch 50-Dollar-Cocktails noch lärmende kuwaitische Touristen in Motörhead-T-Shirts noch Voodoo-Themen-Partys, noch scheinheilige Greenpeace-Demonstranten finden.“

Alles klar, alles glaubwürdig? Vermutlich nicht. Denn der Grat ist schmal zwischen Hard-Rock-Cafés und Westcoast-Hip-Hop, zwischen holländischen Touristen, die die historischen iranischen Städte pauschal bereisen, und kuwaitischen Touristen in Motörhead-T-Shirts. Auf diesem Grat können eigentlich nur bis ins Mark verfeinerte Spät-Hipster wandeln. Doch ist genau das auch das Programm, das der Roman des 35-jährigen iranischstämmigen, in Berlin lebenden Kurators, Kunstkritikers und Filmemachers Tirdad Zolghadr in extenso zeigt.

„Softcore“ singt das hohe Lied der Indifferenz und das genauso hohe der Distinktion. Über allem schwebt hier der nicht unglamouröse Grauschleier einer Stadt zwischen Aufbruch und Steinzeit, zwischen Pop und Gottesstaat, zwischen den Regimen des Schahs, Khomeinis und Mahmud Ahmadinedschads und den Freiräumen, die sich unter diesen trotzdem immer wieder aufgetan haben.

Man könnte auch sagen: „Softcore“ ist ein klassischer Pop-Roman; ein Roman, der sich nur zu gern in Aufzählungen ergeht und darin, was seine Figuren alles so tragen, hören, anschauen, für Drogen nehmen, für Rasiercremes, Shampoos und so weiter. Und der einen Helden und namenlosen Ich-Erzähler hat, der ein Neffe der zynisch-kaputten, neurotisch-weltschmerzgeplagten Helden von Christian Kracht oder Marc Fischer sein könnte, von „Chronologie oder psychologischen Realismus“ nichts wissen will und lieber der großen Pop-Traurigkeit huldigt. Als Exiliraner, der in Lagos aufgewachsen ist und in der Welt herumstreift, vermag er das geradezu genuin.

Zu Beginn stellt er sich so vor: „Ich trage Polohemd unter Dufflecoat, Jeans, getönte Brille, altmodisch üppige Koteletten und einen schütteren ungepflegten Bart. Obwohl ich tatsächlich um einiges jünger bin, wirke ich wie Mitte dreißig, dürr, klein und etwas gebeugt, mit auffallend vollen Lippen, die roten Haare im Cäsarschnitt über einer hohen Stirn“. Das muss reichen. Was folgt, ist ein Auftrag, der „Softcore“ eher lose als festgezurrt strukturiert: Der Mann mit dem Cäsarschnitt will das legendäre Restaurant Promessa aus der Vor-Khomeini-Zeit wiedereröffnen, „als Ort für Kunstausstellungen, Modenschauen, Premieren, Lesungen, Filmvorführungen. Workshops, Diskussionsrunden, Geschäftsempfänge, Dreharbeiten, Partys und so weiter“.

Und dafür, um Geld, Ideen, Mitarbeiter und Künstler aufzutreiben, begibt er sich in die Kunstszene Teherans, pendelt zwischen besagtem Chi-Chi-Nord-Teheran und dem armen, bevölkerungsreichen Süd-Teheran, zwischen High-Tech-Wolkenkratzern in seinem Wohnviertel Zirzamin und Hamburg und Beirut, und macht auch die Bekanntschaft mit Teherans berüchtigtem Shekufeh-Gefängnis, das „in Sachen mythisch-historischer Faszination den Fußballstadien Santiago de Chiles ziemlich nahe kommt“.

Manchmal hat man zwar den Eindruck, man erfährt hier eher nichts von Teheran – und das Sprüchlein, das Zolghadrs ukrainischer Kollege Andrej Kurkow „Softcore“ mit auf den Weg gegeben hat, es sei „eine hervorragende Möglichkeit, mehr über das Teheran von heute zu erfahren“, ist noch mehr Fake als Verkaufsslogan. Dann aber stachelt dieses kühle, schneidig im Präsens geschriebene, manchmal traumverlorene Buch auch immer wieder unsere Phantasie an, verwischt es das blasse Bild einer rückständigen, geduckten Stadt, der Hauptstadt eines Landes, das gleich nach Nordkorea kommt. Am Ende jedenfalls ist das Promessa kurzzeitig wieder auf, glamourös wie nie, mit Neil Diamond, Michael Moore und Bono als Stargästen. Und anders als etwa bei Kracht weiß man, dass dieser Erzähler keineswegs am Verschwinden arbeitet, sondern an purer Präsenz und Transparenz.

Tirdad Zolghadr: Softcore. Roman. Aus dem Englischen von Johann Christoph Maass. KiWi, Köln 2008, 223 S. 8,95 €.

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