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Literatur: Putins Prinz

Boris Reitschuster stochert im Nebel um Russlands neuen Staatschef Dmitri Medwedew

Am Mittwoch zieht der 42 Jahre alte Dmitri Anatoljewitsch Medwedew als Nachfolger von Präsident Wladimir Putin in den Kreml ein. Wer ist der smarte Gasprom-Mann? Beendet er die Putin-Ära oder ist er lediglich Steigbügelhalter für eine neue Amtszeit des „lupenreinen Demokraten“? Pünktlich zur Amtsübernahme bringt der Econ-Verlag eine „politische Biografie“ des neuen Kreml-Chefs von Boris Reitschuster.

Der Moskau-Korrespondent des Magazins „Focus“ warnt den Leser, es den vielen westlichen Beobachtern gleichzutun und Medwedew „naiv und arglos“ mit Vorschusslorbeeren und Etiketten wie „Liberaler“ zu bedenken. Medwedew hat zwar keine KGB-Karriere hinter sich, aber dennoch einiges auf dem Kerbholz. Deshalb: Auch wenn er so nett aussieht und öffentlich nach mehr Rechtsstaatlichkeit ruft – erst mal abwarten, ob dem auch Taten folgen. Der Autor selbst rechnet damit eher nicht. Reitschuster erzählt von „Dima“ Medwedew aus einer Trabantenvorstadt Leningrads, dem „kleinen Streber“ aus der Intellektuellenfamilie, der sich nie prügelte, sondern immer nach oben strebte. Der Autor will beweisen, wie stark sich Medwedew von Putin unterscheidet: Dieser nämlich wuchs auf in einem Arbeiterviertel „mit verkommenen Mietshäusern und einem Labyrinth von finsteren Hinterhöfen“, prügelte sich ständig mit anderen Jungs und machte im Hausflur Jagd auf Ratten.

Medwedew studiert Jura und gerät in den Wahlkampfstab des späteren Bürgermeisters von St. Petersburg, Anatolij Sobtschak, wo er Putin kennenlernt. Dann trennen sich ihre Wege: Medwedew geht in die Wirtschaft, ist Mitbegründer von mehreren heute milliardenschweren Unternehmen, die nach seinem Ausstieg in kriminelle Machenschaften verwickelt sind. Es sei zwar unfair, so der Autor, Medwedew damit in Verbindung zu bringen, aber ebenso naiv, „die Erfahrungen zu unterschätzen, die der heutige Präsident in den wilden neunziger Jahren als Unternehmer und Jurist gesammelt hat.“ Mit Rechtsstaatlichkeit hätten die jedenfalls wenig zu tun.

Putin erinnert sich wieder an Medwedew, als er 1999 Ministerpräsident wird. Zur Jahreswende zieht Medwedew als Stellvertreter des Präsidialamtschefs in den Kreml ein. Ab hier geht es nur noch aufwärts: Vorsitzender des Gasprom-Aufsichtsrats, Leiter der Präsidialverwaltung, Vize-Premierminister und jetzt: Präsident. Dass Putin ausgerechnet ihn zum Nachfolger beistimmt, ist für Reitschuster der kleinste gemeinsame Nenner von Putin und den bestehenden Machtgruppierungen. Von Medwedew als Präsident erhofften diese sich die Wahrung des Status quo.

Wie es weitergeht, weiß Reitschuster nicht: Szenario 1 heißt „Putins Prinzregent“ und sieht eine Rückkehr Putins an die Spitze in fünf Jahren vor. Diese Variante hält Reitschuster für wahrscheinlich, denn dem Intelligenzler Medwedew traut er im Kampf der Geheimdienstclans nicht viel zu. Szenario 2 („Das Restrisiko“) sieht einen Medwedew, der aus der Rolle der Handpuppe ausbricht. Reitschuster wird hier zum Hobby-Psychologen: „Irgendwo in Medwedews Psyche muss das Verlangen schlummern, allen zu zeigen, dass er mehr ist als nur ein Hampelmann Putins. Und wenn dieses Verlangen nicht von selbst erwacht, können es andere wecken.“

Boris Reitschuster, erwiesener Experte für das System Putin, hat ein Buch geschrieben, das für Russland-Neueinsteiger interessant ist. Nach neuen Informationen zu Medwedew sucht ein aufmerksamer Leser der Tagespresse aber vergeblich. Zu wenig hat Reitschuster zu Medwedew selbst recherchiert. Stattdessen zitiert er fleißig aus russischen und deutschen Tageszeitungen, ja sogar aus dem Konkurrenzmagazin „Spiegel“. Dem Kapitel über Medwedews Petersburger Vergangenheit merkt man an, dass er sich nicht die Mühe gemacht hat, dort selbst nachzuforschen. Auch seine Quellenlage irritiert: Es ist zwar verständlich, dass der Journalist seine Quellen, um diese zu schützen, anonym hält. Aber an Stellen mit schwerwiegenden Vermutungen – wie etwa die eines bevorstehenden Putsches nach der Nominierung Medwedews – heißt es zu oft: „Zu belegen sind diese Angaben nicht, angesichts der russischen Verhältnisse klingen sie aber alles andere als abwegig.“ Für einen seriösen Journalisten ist das doch sehr dünnes Eis.

Boris Reitschuster:

Der neue Herr des Kreml? – Econ Verlag, Berlin 2008, 253 Seiten, 16,90 Euro.

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