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Rezension: Land ohne Seele

Ilan Pappe will den Gründungsmythos Israels entlarven. Dabei entlarvt er sich selbst.

Irgendwie ist es ein Etikettenschwindel. Alle Welt redet immer noch von „Israels neuen Historikern“. Dabei liegen die wichtigsten Veröffentlichungen dieser Gruppe von Wissenschaftlern, die die Geschichtsmythen des jüdischen Staates zerlegt haben, schon fast zwei Jahrzehnte zurück. Auch Ilan Pappe ist ein „neuer Historiker“. Doch anders als seine prominenten Kollegen Benny Morris oder Tom Segev reichte es ihm nicht, althergebrachte Geschichtsbilder aufzumischen. Pappe begab sich auf eine ideologische Reise, die ihn an den äußersten Rand der israelischen Gesellschaft brachte.

Und aus dieser Position heraus entstand sein aktuelles Buch „Die ethnische Säuberung Palästinas“. Geschildert werden darin die Ereignisse rund um die Flucht eines Großteils der Palästinenser aus dem Territorium, das 1948 zum Staatsgebiet Israels wurde. Diese verließen nicht freiwillig ihre Dörfer und Städte, weil die arabische Führung sie dazu – wie es lange Zeit in der offiziellen israelischen Historiographie hieß – aufgefordert hatte. Spätestens seit dem viel diskutierten Buch von Benny Morris über die Geburt des palästinensischen Flüchtlingsproblems sind die eigentlichen Gründe bekannt: Gezielte Panikmache, Vertreibungen einzelner Dorfgemeinschaften und einige Massaker gehen auf das Konto der israelischen Entscheidungsträger, auf das der arabischen Verantwortlichen die Befehle zur Evakuierung von Kindern, Frauen und älteren Menschen.

Die Wohlhabenderen unter den Palästinensern verließen das Land unmittelbar nach Ausbruch der Unruhen, um im sicheren Ausland auf bessere Zeiten zu warten. Doch eines gab es nie: einen klar umrissenen Plan zur gezielten Vertreibung aller Palästinenser. Aber genau das will Pappe suggerieren. Es ist gerade der Gebrauch von Wörtern wie „ethnischer Säuberung“ sowie zahlreicher Zitate aus dem Mund der Verantwortlichen für den Jugoslawienkrieg, die eine Analogie zu den Gemetzeln auf dem Balkan herstellen sollen. Die rund 800 palästinensischen Opfer von Massakern mit den mehreren hunderttausend Toten des Jugoslawienkrieges gleichzusetzen, lässt sich wohl kaum als wissenschaftlich bezeichnen.

Pappe kämpft „gegen die Leugnung der Nakba“ – das Wort bedeutet so viel wie Katastrophe und die Palästinenser bezeichnen damit die Ereignisse rund um die Gründung des Staates Israel. Abgesehen davon, dass ein solcher Satz Assoziationen mit der „Holocaust-Leugnung“ weckt, ist die Behauptung blanker Unsinn: Kaum jemand in Israel würde heute die Umstände der Flucht und Vertreibung der Palästinenser noch infrage stellen.

Zudem schwingt ein merkwürdiger Unterton durch das gesamte Buch: Tel Aviv ist für Pappe „eine ausufernde, verpestete, extravagante Metropole“ und neuere israelische Städte bezeichnet er als „Reißbrettstädte“ ohne Seele und Charme. Arabische Dörfer dagegen werden als idyllisch und im Einklang mit der Natur skizziert, ihre Bewohner sind bis zur Selbstaufgabe gastfreundlich. Solche Zeilen sind wohl eher Ausdruck von Projektionen und haben keinerlei wissenschaftliche Aussagekraft. Während jüdische Protagonisten von damals als kaltherzige wie auch grausame Charaktere skizziert werden, kommen Araber auf folkloristische Weise pauschal als Sympathieträger vor. Kein Wort über die Mordkampagnen des „Dritte-Reich“-Freundes und Muftis von Jerusalem, Hadsch Amin al-Husseini, der auf Ausgleich bedachte Palästinenser wie die Nashashibi-Familie aus dem Weg räumen ließ.

Doch das alles passt zur Person Ilan Pappe. Als britische Akademiker 2005 „aus Protest gegen die Apartheid-Politik Israels“ einen Boykott israelischer Universitäten initiieren wollten, befürwortete er diese Initiative lautstark. Und so entstand die absurde Situation, dass der Geschichtsprofessor der Universität Haifa den Boykott seiner eigenen Lehreinrichtung forderte, die sein Gehalt bezahlt und an der zudem über 20 Prozent Palästinenser immatrikuliert sind. Und trotz des Entsetzens über seine Haltung lässt die Uni Pappe weiter gewähren. Wenn es um die Diffamierung Israels geht, schaut Pappe weder nach links oder rechts, sondern kultiviert einen absurden Tunnelblick. Jedes Mittel ist ihm dabei recht. Auch das eines schlechten Buches.

- Ilan Pappe: Die ethnische Säuberung Palästinas. Zweitausendeins, Frankfurt am Main 2007. 413 Seiten, 22 Euro.

Ralf Balke

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