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Roman: Edward St. Aubyns "Schlechte Neuigkeiten"

Reise ins Innere eines Seelenkranken: Der Leser wird auf einen Wochenend-Trip mit kurzen Highs und längeren Depressionsphasen geschickt, mit Selbstbetrugsversuchen, Entzugserscheinungen und Selbstüberschätzungen.

Erst wenn die Väter das Feld räumen, können die Söhne richtig zum Zug kommen. Dieses Grundgesetz bewahrheitet sich vor allem dann, wenn es sich beim Vater um einen dominanten, unbesiegbar scheinenden Menschen handelt. David Melrose ist so ein Vater; er ist noch mehr als das: ein Ungetüm an Grausamkeit und Dekadenz. David Melrose konnte man in Edward St. Aubyns „Schöne Verhältnisse“ kennenlernen; das Debüt des 1960 geborenen Autors erschien in England bereits 1992, mit einer Verzögerung von fünfzehn Jahren erschien es im Frühjahr 2007 auch auf Deutsch.

„Schöne Verhältnisse“ ist nicht zuletzt auch deshalb ein skandalumwittertes Buch, weil der aus dem englischen Hochadel stammende Edward St. Aubyn darin unverblümt an der eigenen Biografie entlangschreibt. Geschildert wird ein sadistischer Vater, der seinen fünfjährigen Sohn vergewaltigt – in einem Interview erwähnte Edward St. Aubyn, dass genau dies ihm selbst widerfahren sei. Nicht nur in engen Literaturzirkeln machte er daraufhin die Runde, sondern auch in den großen Boulevardblättern. Das Buch, literarisch ausgereift, böse und ironisch, könnte allerdings ganz gut ohne Authentizitätsbonus auskommen. Das gilt auch für die weiteren Bücher von Edward St. Aubyn. Die Melrose-Saga, inzwischen auf vier Bände angewachsen, ist nun mit „Schlechte Neuigkeiten“ („Bad News“ erschien im Original gleichfalls 1992) fortgesetzt worden: Der Titel ist ebenso euphemistisch wie jener des Debüts – denn weder waren die von Edward St. Aubyn beschriebenen Verhältnisse schön, noch sind die Neuigkeiten für den nun in den Mittelpunkt rückenden Sohn Patrick Melrose besonders schlecht.

Diesem wird die Nachricht überbracht, sein Vater sei in der Nacht zuvor in einem New Yorker Hotelzimmer verstorben. Patrick muss sich sehr zusammennehmen, um „nicht auf offener Straße zu tanzen und dabei breit zu grinsen“. Patrick Melrose ist 22 und hat sich gerade einen Schuss gesetzt. Er lebt vom Geld der Familie, und das nicht schlecht – während seines Zweitagesausflugs nach New York, wo er die Urne seines toten Vaters abholen will, verschleudert er über 10 000 Dollar für Hotel und Drogen. Man ahnt, dass die Sucht glamouröser und wohlhabender Menschen auch nicht viel lustiger ist als die von Straßen-Junkies. Zumindest aber haben sie keine finanziellen Probleme bei der Beschaffung des Stoffs.

In „Schlechte Neuigkeiten“ wird der Leser auf einen Wochenend-Trip mit kurzen Highs und längeren Depressionsphasen geschickt, mit Selbstbetrugsversuchen, Entzugserscheinungen, Selbstüberschätzungen und wahren Desillusionierungsmomenten. Patrick Melrose hängt zum Beispiel in der marmorierten Toilette eines respektablen Herrenclubs über der Kloschüssel – man übergibt sich dort aber nur unwesentlich angenehmer als in einer billigen Absteige. Allzu viel Mitleid sollte man mit Patrick Melrose allerdings nicht aufbringen: Er ist so voller Hass auf seinen Vater, dass er überhaupt nicht mehr merkt, wie er sich dessen snobistische und menschenverachtende Charaktereigenschaften zu eigen gemacht hat. „Keine Frage“, heißt es einmal schön zynisch, „er war Sexist und Rassist und gegen Fette und Alte und Normale und Junkies.“

Rauschzustände, in denen sich Patrick durch eine surreale Welt halluziniert und von grotesken Stimmen heimgesucht wird, werden abgelöst von Momenten großer Klarheit, die in ihm den Feldherren wecken, der seine „Truppen“ in Stellung bringt: Heroin, Koks und Pillen wollen strategisch günstig eingesetzt sein; der Vorrat muss genau berechnet werden, die Wach- und Schlafphasen wollen bedacht sein, um die größtmögliche Wirkung zu erzielen und den kleinstmöglichen Schaden anzurichten. „Was die anderen bei der Liebe empfanden, das empfand er bei Heroin, und er empfand bei der Liebe, was andere bei Heroin empfanden: eine gefährliche und unverständliche Zeitverschwendung.“

Das ist es, was dieses Buch auf eindrückliche Weise zu einer Reise ins Innere eines Seelenkranken macht: Die Befreiung vom übermächtigen Vater geht nur über den Versuch, den Körper und das Ich ganz aufzulösen in einem zeitlosen Rauschzustand. Alle Optionen, die das Leben ansonsten zu bieten hat, scheinen vom Vater besetzt, „kontaminiert“. Nur die totale Entgrenzung, der Kontrollverlust weist den Weg, der vom Erbe wegführt: Wo der Vater diktatorisch alles im Griff haben wollte – vor allem seine Mitmenschen –, da entgleitet dem Sohn das reale Geschehen zusehends. Wo der Vater die Schwächen des Gegenübers suchte, um sie augenblicklich auszunutzen, da benutzt der Sohn die Sucht als größte Schwäche, weil sie nicht korrumpierbar ist. Der Trip führt in Regionen, in die der Vater nicht vordringen kann. Nicht umsonst stellt sich Patrick Melrose einmal das allergrößte Glück darin vor, zusammen mit einer Frau Heroin zu spritzen und gemeinsam in eine weit entlegene Bewusstseinswelt zu entkommen.

„Schlechte Neuigkeiten“ spürt den absurden Erlebnissen nach, die man als von Drogen aufgekratzter englischer Dandy in New York haben kann – wie sich die Wirklichkeit durch die chemischen Substanzen verzerrt, wird in manchen Szenen auch schön verwackelt geschildert. Das Buch ist mit englischem Sarkasmus geschrieben, der es wohltuend von den einschlägigen Drogenromanen amerikanischer Provenienz unterscheidet.

Man darf sehr gespannt sein, wie es Patrick Melrose nach seinem lost weekend in New York und ohne Übervater ergeht. Im März dieses Jahres erscheint der nächste Melrose-Band unter dem deutschen Titel „Nette Aussichten“ (im Original „Some Hope“, von 1994). Darin vertraut Melrose das erste Mal einem Freund sein übermächtiges Kindheitstrauma an.

Edward

St. Aubyn:
Schlechte Neuigkeiten. Roman. Aus dem Englischen von Dirk van Gunsteren. Dumont Verlag, Köln 2007. 200 Seiten, 17,90 €

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