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Harig

© Becker&Bredel

Romane: Weltenwanderer

Sehen und schlemmen: Ludwig Harig legt zu seinem 80. Geburtstag zwei neue Bücher vor.

Kaum ein Schriftsteller in Deutschland hat sich der authentischen Verfasstheit des Schreibens so konsequent verpflichtet wie Ludwig Harig. Ob er in seiner Romantrilogie „Ordnung ist das ganze Leben“ (1986), „Weh dem, der aus der Reihe tanzt“ (1990) und „Wer mit den Wölfen heult, wird Wolf“ (1996) dem Dunkeldeutschland des 20. Jahrhunderts nachgeht, ob er in seinen frühen Texten die formalistischen Sprachversuche der Stuttgarter Schule um Max Bense narrativ ausfantasiert oder den Ideen der französischen Experimentiergruppe Oulipo folgt und das „Neue Hörspiel“ mibegründet: Immer werden wir Zeugen einer erzählerisch versierten Empfindungsschärfe.

In allen Büchern, die der am 18. Juli 1927 im saarländischen Sulzbach geborene und dort nach wie vor lebende Autor bisher vorgelegt hat, spürt man eine Wahrheit des Authentischen. Als Harig mit 43 Jahren den Beruf als Volksschullehrer aufgibt, um sich ganz dem Schreiben zu widmen, beginnt er damit, die eigene Herkunft und Vergangenheit literarisch zu reflektieren. An der Schnittstelle europäischer Kultur aufgewachsen, nimmt er sich dem deutsch-französischen Verhältnis in zahlreichen Wendungen an. Er verfasst Übersetzungen von Texten Prousts, Apollinaires und Raymond Queneaus (die wiederum seinen eigenen Stil beeinflussen) und veröffentlicht legendäre Bücher wie die „Sprechstunden für die deutsch-französische Verständigung“ (1971). Als er 1949 als Assistant d’allemand am Collège Moderne in Lyon arbeitet, schließt er eine Freundschaft fürs Leben, die wiederum jetzt – zu seinem 80. Geburtstag – literarische Früchte trägt.

Sein neuer Roman „Kalahari“ erzählt die Lebens- und Familiengeschichte des Burgunders Roland Cazet und von dessen Vater und Großvater. Es handelt sich um eine weitere autobiografische Erzählung, die in dem für Harig so typischen Collageverfahren entstanden ist. Das Material bildeten Rolands eigenes Dossier, Briefe, Postkarten, Aufzeichnungen. Hinzu kommt die Erinnerung des Autors und sein Talent zum Fabulieren.

Wollte man das Eigentümliche dieser Prosa auf den Punkt bringen, so stellt sich zunächst der Gedanke ans „Weltenwandern“ ein. So, in diesem Licht, ganz und gar außerordentlich, in dieser Ausdehnung, dieser Nähe, in diesem Ausschnitt, in dieser Gestalt zeichnet Harig die Figur seines Freundes, der – selbst Lehrer – nicht in der Heimat blieb, sondern den Globus durchquerte, angetrieben von der Sehnsucht nach der Wüste Kalahari, die auch eine Chiffre für Abenteuer, Wagemut und Unruhe ist.

Es spielt keine spezifische Rolle, worum es sich je handelt: Immer prägt sich das Angeschaute mit der Umgebung als Bild ein – wir sehen Roland mit Harig und seiner Frau in syrischen Ruinen ebenso wie dessen langsamen, aber unaufhaltsamen Zerfall durch eine Krankheit. Der Blick Harigs ist nicht bloß aufwendig und genau, er lenkt das Sehen auch in ab- und umwegige Richtungen, zu denen die schlechten Seiten des Lebens genauso gehören wie die ausgelassenen.

In Ludwig Harigs Büchern wird oft vehement geschlemmt und gefeiert; sei es mit burgundischen Leckereien, sei es mit saarländischen. Das Festliche wird zum Sinnbild eines Freundschaftskultes im Hölderlin’schen Sinne. Das Wechselspiel zwischen feierlichem Augenaufschlag und schonungslosem Blick, zwischen lichter Erwartungshöhe und robuster Wirklichkeitsliebe ist das besondere Gesetz, nach dem dieses Werk eine poetische Wahrheit aufruft. In seinem gerade erschienenen Band „Der Bote aus Frankreich“ benennt Harig Erzählungen von König Artus und Ritter Lancelot als Initialtexte. Harig beharrt auf einen historischen Kosmos, in dem, für einen Augenblick wenigstens, ausschließlich und rücksichtslos das Eigentliche auftaucht, etwa das deutsch-französische Panorama, das verabschiedet und in eine neue Lebenswelt überführt worden ist. Als Autor hält Harig fest an der dichtenden Willkür, mit der die frei flottierenden Bestandteile des Alltags in die Dramaturgie einer Erzählung gelangen. Er schreibt dabei die großen Schicksalsbögen gemeinhin solchen Figuren ein, die aus der festen Wirklichkeit in die gesteigerte Wahrnehmungswelt des Romans ragen, so wie eben bei Roland Cazet.

Vielleicht gibt es überhaupt niemanden sonst in der deutschsprachigen Literatur, der das Wesentliche einer Person so präzise nachschreiben kann wie Ludwig Harig. Gehaltlos wäre die Literatur ohne eine solche Empathie, in deren literarischem Abglanz Fiktion und Faktum verwischen. Harigs literarische Welten sind keine Realitäten. Sie sind nicht von außen gezeichnet, sondern von innen erkannt.

Ludwig Harig: Kalahari. Ein wahrer Roman. Hanser, München 2007, 216 S., 20 €.

Ludwig Harig: Der Bote aus Frankreich. Einladungen zu König Artus und Ritter Lancelot. Mit Zeichnungen von Hans Dahlem. Zu Klampen, Springe 2007, 120 S., 14,80 €.

Oliver Ruf

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