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Raub

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Sachbuch: Raub, Recht und Realpolitik

Unwürdiges Gefeilsche: Eine Bilanz der Rückerstattung jüdischen Eigentums im Nachkriegsdeutschland.

War es „vorauseilender Gehorsam“ und „moralisches Gutmenschentum“, wie die Grünen-Sprecherin Alice Ströver vor einiger Zeit dem Berliner Senat vorhielt, dass Ernst Ludwig Kirchners „Straßenszene“ noch nach Jahrzehnten an die Erben des jüdischen Vorbesitzers zurückgegeben wurde? Der Streit darüber hat ein Thema wieder auf die Tagesordnung gesetzt, das im wiedervereinten Deutschland nach Jahrzehnten der „Wiedergutmachung“ nicht mehr strittig schien. Hatte die Bundesrepublik nicht das Menschenmögliche getan, um durch Rückerstattung, Entschädigungen und pauschale Ausgleichszahlungen den Raub jüdischen Eigentums durch den NS-Staat und seine Nutznießer wenigstens materiell auszugleichen?

Jürgen Lillteichers Bilanz „Raub, Recht und Restitution“ kommt da gerade recht, um Emotionen zu dämpfen und Proportionen zurechtzurücken. Es war schließlich eher nacheilender Gehorsam, der die überlebenden Täter und Nutznießer der „Arisierung“ und Enteignung jüdischen Eigentums nach 1945 veranlasste, den Rückerstattungsgesetzen der Besatzungsmächte Folge zu leisten. Auch von „Gutmenschentum“ konnte keine Rede sein, wenn sich rückerstattungspflichtige Bundesbürger später ihrerseits durch ein „Reparationsschädengesetz“ für ihre Erstattungsleistungen nach Besatzungsrecht entschädigen ließen. Die allgemeine Stimmung, die diesen Gang der Dinge in Deutschland begleitete, schildert Lillteicher so: „Die im Nachkriegsdeutschland weit verbreitete Ansicht, nicht Verursacher, sondern Opfer des Krieges zu sein, förderte eine grundsätzliche Ablehnung gegenüber jeglichen Forderungen von Personen aus dem Ausland, die scheinbar nicht unter dem Krieg gelitten hatten.“ Sprich: Von Juden und ihren Angehörigen, die sich ins Ausland retten konnten.

Dabei übersah man gern, dass von den einst 550 000 jüdischen Bürgern des Deutschen Reichs nur ein Bruchteil überlebt hatten. Nur ein Viertel des geschätzten jüdischen Vermögens in Deutschland konnte nach 1933 ins Ausland transferiert werden, der „Rest“ – also drei Viertel – muss demnach in andere Hände gelangt sein. Das Instrumentarium zur Entziehung jüdischen Eigentums reichte von der Zwangs„arisierung“ jüdischer Firmen – wie der Porzellanfabrik Rosenthal – über Sondersteuern und Sonderabgaben wie die „Reichsfluchtsteuer“ oder die kollektive „Sühneleistung“ für das Attentat auf den deutschen Diplomaten von Rath, bis zu Zwangsverkäufen von Immobilien, Pfändungen und nacktem Raub mobiler Vermögenswerte wie Schmuck, Pelzen und Uhren in den Konzentrationslagern.

Dass es bei der Restitution zu Härten kommen konnte – etwa bei der Rückgabe von Immobilien, die im Krieg untergegangen waren oder bei gutgläubigem Erwerb jüdischen Eigentums aus Weiterverkäufen –, ist unbestritten und hat Eingang in die Rechtsprechung und Rechtsetzung nach 1945 gefunden. Trotzdem mutet es zynisch an, wenn sich die davon Betroffenen (wie in Hamburg) als „Judengeschädigte“ bezeichneten oder gar moralisch in die Offensive gingen: „Was hätte es den Juden geholfen, wenn sich ein Käufer aus moralischen Gründen vom Kauf zurückgehalten hätte?“ Der häufig niedrige Kaufpreis, so argumentierten Interessenvertreter der „Rückerstattungsgeschädigten“ in einem Brief an den Bundesfinanzminister, sei gewissermaßen der moralische Ausgleich für die materielle Hilfe gewesen, die man den Juden durch den Kauf ihres Eigentums habe angedeihen lassen.

Natürlich, schreibt Lillteicher „war die Situation nach 1945 eine völlig andere als während der Nazizeit, als ehrbare Kaufleute unter Ausnutzung der allgemeinen Verfolgungssituation oder mit direkter Hilfe von Partei- und Staatsorganen jüdisches Eigentum in ihren Besitz gebracht hatten. Die Verpflichtung zur Rückgabe einer völlig intakten Immobilie in weitgehend zerstörten Städten wie Hamburg konnte nun, nach dem Krieg, zur ernsthaften existentiellen Bedrohung werden. Auch diejenigen, die wiederum von ,Ariseuren’ Eigentum erworben hatten und tatsächlich von der vorherigen Transaktion nichts wussten, wurden durch die Rückerstattungspflicht finanziell hart betroffen.“ Die solchermaßen Betroffenen stießen mit ihren Klagen durchaus auf das Verständnis deutscher Behörden und Gerichte; es konnte sogar vorkommen, dass derselbe Beamte oder Richter über eine Restitution von jüdischem Eigentum zu befinden hatte, an dessen Entzug er einst mitgewirkt hatte. Auch aus diesem Grund behielten sich die Alliierten bis in die 50er Jahre vor, Militärgesetze anzuwenden und deutsche Entscheidungen vor Obergerichten zu prüfen und in letzter Instanz zu entscheiden.

Unbestritten ist, dass es sich dabei um eine neue Rechtsmaterie, ja „um ein Novum in der Geschichte postkatastrophischer Ausgleichsbemühungen“ (Lillteicher) handelte. Nie zuvor hatten die Sieger einen geschlagenen Staat gezwungen, von ihm im eigenen Land Verfolgte zu rehabilitieren und zu entschädigen. Lillteicher zeichnet den Weg zu einer angemessenen individuellen und – durch Einschaltung jüdischer Organisationen und des Staates Israel – kollektiven Entschädigung nach und schont dabei keine der beteiligten Seiten: Weder die Rivalitäten zwischen den Alliierten noch die zum Teil unwürdigen Einlassungen deutscher Juristen und Politiker (speziell der FDP), noch Betrügereien in den Reihen jüdischer Interessenvertreter oder deren Konflikte mit den jüdischen Gemeinden in Deutschland.

Leider blendet Lillteicher in seiner Darstellung die Haltung der DDR weitgehend aus und konstatiert nur kurz, dass „im anderen Teil Deutschlands aus ideologischen Gründen praktisch keine Rückerstattung stattfand“. Das trifft zwar für seinen Berichtszeitraum – von 1945 bis 1974 – zu, aber das späte Lavieren Erich Honeckers in dieser Frage wäre durchaus ein eigenes Kapitel wert gewesen. Schließlich schreiben wir seit 1990 wieder gesamtdeutsche Geschichte.

Jürgen Lillteicher: Raub, Recht und Restitution. Die Rückerstattung jüdischen Eigentums in der frühen Bundesrepublik. Wallstein Verlag, Göttingen 2007. 560 Seiten, 49 Euro.

Hannes Schwenger

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