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Saisonstart: Theaterliteratur: Bände sprechen

Vor dem Saisonstart: Neue Bücher über Theaterschauspieler und Regisseure.

Während der Regisseur Luc Bondy nach schönen Erzählungen mit seinem demnächst erscheinenden ersten Roman „Am Fenster“ die Tür auch in die Literatur voller Geist, Sprachsinn und Menschenerkenntnis geöffnet hat, tun sich viele Theaterleute heute schwer mit dem Schreiben. Ganz anders als einst Fritz Kortner oder Akteure wie die Knef, Curt Bois oder Ernst Schröder. Bereits Bernhard Minetti, einer der intelligentesten Schauspieler überhaupt, hatte seine zeitgeschichtlich interessanten, brisanten Memoiren einem Redakteur und Herausgeber (dem Kritiker und Theaterhistoriker Günther Rühle) nurmehr aufs Band gesprochen. Ebenso der große Peter Zadek, dessen abschließender dritter Band seiner mündlich erinnerten Lebensgeschichte, notiert von Kiepenheuer-Verleger Helge Malchow, im kommenden Frühjahr posthum zu lesen sein wird.

Es sind Gesprächs-Bücher, die als Selbstvergewisserungen von Theaterkünstlern auch dieses Jahr bestimmen. So hat der Dramaturg Michael Eberth mit Ulrich Matthes und Samuel Finzi, zwei Protagonisten des Deutschen Theaters Berlin, in langen Interviews ihre Lebenserzählungen und professionelle Selbstreflexionen vorgestellt. Matthes’ Buch ist hier schon verschiedentlich empfohlen worden, denn es ist eine der klügsten Vergewisserungen darüber, was mit dem Theater heute (noch) auf dem Spiel steht.

Dagegen sind Samuel Finzis Auskünfte über den Weg des bulgarisch-jüdischen Pianistensohns von Sofia hinaus nach Frankreich und später nach Deutschland die emphatische Beschreibung eines Ausbruchs und Aufbruchs. Vom (ex-)kommunistischen Balkan in den kapitalen Westen, der bis heute wohl eine fremde Halbheimat geblieben ist. Der Schauspieler Finzi spricht auf der Suche nach der eigenen Identität auch über die deutschen Befangenheiten, die Angst vor dem zerrütteten Selbstbild. Und er trifft, mit eigener Empfindlichkeit, zugleich die Wunden des deutschen Theaters, etwa am Beispiel Frank Castorfs.

Finzi: „Ich habe ein einziges Mal mit ihm gearbeitet. ,Gier nach Gold’ war nicht die glücklichste Produktion. Er hat mir für nichts Zeit gelassen. Er hat mich reingepeitscht in eine von diesen Figuren, die seine Schauspieler seit fünfzehn Jahren hinlegen, und die inzwischen ihre eigenen Klischees sind. Dieses ewige In-den-Exzess-Gehen ist ja längst zur Routine geworden. Es ist eine Kunstform, die nicht jeder Schauspieler hinkriegt. (...) Der Exzess kann aber nur ein Mittel sein bei der Suche nach Wahrheit. In dieses Stereotyp reingepeitscht zu werden, hat für mich etwas Trostloses. Der Schrei ist ja nicht unbedingt ein Ausdruck von Freiheit.“

Am ehesten ein Ausdruck der jüngsten Debatten ums angeblich stückezerstörende, selbstinszenatorische Regisseurstheater (Stichwort: Daniel Kehlmann) und eine Antwort auf manch neue alte Fragen bietet das Bändchen von und über die Regisseurin Andrea Breth. Unterm Motto „Frei für den Moment“ spricht Breth mit der Berliner Kritikerin Irene Bazinger über „Regietheater und Lebenskunst“. Da wird von der Interviewerin einmal sehr schön Romy Schneider mit dem Satz zitiert „Ich kann nichts im Leben, aber alles auf der Leinwand“. Und Andrea Breth behauptet, dass sie „im normalen Leben überhaupt keine Menschenkenntnis“ habe. „Aber kaum sind Kunstmenschen auf der Bühne, weiß ich genau, wer sie sind.“

Dennoch hat die frühere Leiterin der Berliner Schaubühne und zuletzt wichtigste Regisseurin des Wiener Burgtheaters viel vom Leben erfahren und erlitten, auch jenseits der Kunst. Breth erzählt von ihrem autodidaktischen Werdegang, redet offen über Misserfolge und ihre – durch neue Medikamente jetzt besser beherrschbare – Krankheit der manischen Depression, spricht über einen „vehementen Selbstmordversuch“, über ihre Homosexualität (sie hasst das Wort „lesbisch“) und über die Vertrautheit mit ihrer Partnerin, der Schauspielerin Elisabeth Orth. Doch bietet das Buch alles andere als Privatklatsch. Es zeigt das Porträt einer „Unbedingten“, wie sie Klaus Völker in seinem scharfsinnigen Vorwort nennt, wobei er als Breths Devise einen Satz von Schiller zitiert: „Der Künstler ist zwar der Sohn seiner Zeit, aber schlimm für ihn, wenn er zugleich ihr Zögling oder gar Günstling ist.“

Andrea Breth, die mit ihren Arbeiten die „Stückverwirklichung, nicht Selbstverwirklichung“ sucht (und trotz großer Triumphe nach eigener Auskunft nicht immer findet), sie plädiert entschieden dafür, von „Menschen“ und nicht bloß „Figuren“ auf dem Theater zu erzählen. Und sie möchte, dass der maßgebliche Autor des Abends, wenn es nicht eigene, autonome „Projekte“ der Theatermacher sind, noch immer der Dramatiker ist und nicht der nur „handwerklich“ tätige Regisseur. Dessen Kunst sei allein die der Interpretation und nicht der ersetzenden Dekonstruktion. Unbedingt lesenswert, was Andrea Breth uneitel-selbstbewusst über die Leseschwäche manch jüngerer Regiekollegen und über die konkrete Arbeit mit Schauspielern verrät (ohne das notwendige „Geheimnis“ allen großen Theaters preiszugeben). Am tollsten aber ist: die Geschichte eines blinden Freundes und was dieser im Schauspiel wie im realen Leben trotz aller Dunkelheit erkennt.

Das schöne Licht aufs Theater wirft indes ein Augenblicks-Buch über den Tag hinaus: das „Theater der Bilder / Theatre of Images“, eine opulente optische Inszenierung aus vier Jahrzehnten der Frankfurter Theaterfotografin Mara Eggert. Ihre Bilder sind noch bis zum 4. Oktober in der Kunst- und Ausstellungshalle der Bundesrepublik in Bonn zu sehen, doch der mit Vorworten unter anderem von Hans Neuenfels und Christoph Vitali versehene deutsch-englische Katalogband inszeniert ein ganz eigenes Schau-Spiel.

Das verdankt sich oft auch dem kongenialen Zusammenspiel von Mara Eggerts Kamerablick mit den Szenerien etwa des viel zu früh verstorbenen Bühnenbildzauberers Axel Manthey oder den Imaginationen von Robert Wilson. Gleich zum Auftakt erinnert ein Opernfoto an Ruth Berghaus’ Frankfurter „Siegfried“-Inszenierung von 1986: Wagners Held (William Cochran) geht mit einem Kind, dem Darsteller des Waldvogels, ab ins Weiße, Offene – dabei sieht man die beiden durch eine Rundöffnung im Schwarzen wie durch eine Kameralinse. Was ist da Mantheys Bühne und Spiel, was Eggerts Fotokunst? Die Antwort liegt in einer Bemerkung des polnisch-amerikanisch-berlinischen Theaterwissenschaftlers Andrzej Wirth, der über Mara Eggert sagt: „Sie verwendet ihr Werkzeug, ihre Camera Obscura, in einer Rückkoppelung mit der Black Box des Theaters.“

Es ist ein Streifzug durch die jüngste Schauspiel-, Tanz- und Operngeschichte, von Klaus Michael Grübers frühem, geheimnisvollen „Dickicht der Städte“ (in Frankfurt, 1973) bis zu Moritz Rinkes „Republik Vineta“ in Hamburg oder neueren Tanzstücken; man begegnet Neuenfels, Heiner Müller und Jürgen Flimm, Dea Loher, Luigi Nono oder Herbert Achternbusch, schwarz-weiß oder in Farbe und immer in ihren von Mara Eggert aus dem großen, unendlichen Erinnerungsgeflimmer herausgehobenen: Imagic Moments.

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