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Tom Cruise

© dpa

Schwarzbuch: Mission: Europa

Religion oder totalitäres System? Das "Schwarzbuch Scientology" warnt vor einer Verharmlosung der Sekte.

Von Sabine Beikler

Jeder Demokrat musste in der Debatte um den Scientologen und Schauspieler Tom Cruise als filmischen Darsteller des Hitler-Attentäters Claus Schenk Graf von Stauffenberg irgendwann Farbe bekennen und sich schützend vor die Glaubens- und Religionsfreiheit stellen. Stehen aber tatsächlich auf der einen Seite deutsche Scientology-Paranoia, auf der anderen Seite Glaubensfreiheit?

In der auf absolute Religionsfreiheit bedachten USA ist Scientology zwar als Kirche anerkannt. Doch auch in Amerika gibt es scharfe Kritiker wie den Sektenexperten Rick Ross, der Scientology als „prinzipiell totalitäres System“ bezeichnet. In Deutschland wird die Organisation vom Verfassungsschutz beobachtet. „Zu Recht“, schreibt der bayerische CSU-Innenminister Günther Beckstein im Vorwort zum „Schwarzbuch Scientology“ von Ursula Caberta, das am Dienstag offiziell vorgestellt wird. Scientology sei eine „menschenverachtende Psycho-Ideologie, die eine totalitäre Gesellschaft aus gefügigen Anhängern fordert. Ihr Ziel ist die völlige Unterordnung des Einzelnen“. Um sich öffentlich gut zu präsentieren, erwecke Scientology deshalb den Eindruck einer harmlosen Religionsgemeinschaft.

Die 57-jährige Autorin leitet seit 1992 die Arbeitsgruppe Scientology bei der Hamburger Innenbehörde und ist eine ausgewiesene Scientology-Expertin (siehe Seite Drei). Von einem missionarischen Eifer, die Organisation in Misskredit zu ziehen, wie es ihr Kritiker vorhalten, ist in dem Buch nichts zu lesen. Sie beschreibt klar und schnörkellos, dass Scientology jeden treffen kann, nicht nur labile Menschen.

Für die direkte Ansprache gibt es die „Orgs“, die Scientology-Missionen und Kirchen. Deren Aufgabe ist es, das intern bezeichnete „raw meat“, das rohe Fleisch, auf der Straße, in der Familie oder im Kollegenkreis anzuwerben. Das machen ehrenamtlich „Geistliche“, in der Organisation werden sie „Auditoren“ genannt, die die scientologischen Techniken beherrschen. Die Anwerbeversuche funktionieren in der Regel durch Persönlichkeitstests, die mit einer Analyse und bezahlten Kursen als Problemlösung enden. Besonderen Wert legt die Organisation auf ihre Antidrogenkampagne, bei der sie ihr Programm Narconon anpreist. Narconon wurde von Drogenbeauftragten mehrfach kritisiert, weil die eine Abhängigkeit – Heroin – lediglich durch eine andere Abhängigkeit – Scientology – ersetzt werde, ohne dass Konflikte aufgearbeitet werden. Cruise reagierte in einem „Spiegel“-Interview vor zwei Jahren ungehalten auf die Feststellung, dass das von ihm hoch gelobte Narconon-Programm als Entzugsverfahren nicht anerkannt sei: „Sie verstehen nicht, was ich sage. Es ist eine statistisch erwiesene Tatsache, dass es nur ein erfolgreiches Drogen-Rehabilitationsprogramm gibt in der Welt. Punkt.“

Der 1986 gestorbene Scientology-Gründer L. („Lafayette“) Ron Hubbard war Science-Fiction-Autor. Aus seiner Feder stammt die „Weltraum-Odyssee“, so Caberta, mit einem Feind namens Xenu aus dem All, einer Erde namens „Teegeack“ und in Vulkane gestopften Thetanen, die mit Wasserstoffbomben in die Luft gesprengt wurden. Thetane gibt es heute noch, sie sind geistige Wesen, die durch verschiedene Scientology-Methoden gerettet werden können. Es gibt auch lebende operierende Thetane (OTs) wie Tom Cruise, die durch mehrere Feuerwände gehen müssen. Ihr Ziel: die Herrschaft über das „MEST“ – Materie, Zeit, Raum und Energie.

Doch Scientology ist mehr als nur der Glaube an solche abstrusen Theorien. Die Organisation ist hierarchisch durchorganisiert, es gibt Verhaltenscodices, Ethik-Offiziere, interne Kontrolle, einen Geheimdienst namens OSA (office of special affairs), eine eigene Sprache, wie Caberta beschreibt. Ehebruch heißt zum Beispiel „Out 2 D-Feststellung“.

Scientology ist vor allem eines: ein Wirtschaftsunternehmen. Eine separate Abteilung ist „Wise“, das World Institute of Scientology Enterprises, ein Verband von Scientologen oder scientologisch geführten Firmen. Die Wise-Richtlinie Nr.1 erklärt als eines der Ziele, „die administrative Technology L. Ron Hubbard in jedem Unternehmen der Welt voll zum Einsatz zu bringen“. Wer nicht systemkonform funktioniert, wer Kommunikations- oder Führungskurse verweigert, bekommt Probleme. Genau geregelt ist die Firmenübernahme durch eine von Caberta beschriebene Verwaltungsanordnung.

Für den scientologischen Nachwuchs gibt es eigene Schulen in den USA oder Dänemark. In Deutschland ist es Scientology bisher nicht gelungen, Privatschulen zu gründen. Einen speziellen Drill für die Eliteeinheiten, die „Sea Orgs“, bietet Scientology in den Europazentren Kopenhagen und in West Sussex in der Nähe von London an: Jedes Mitglied muss einen Aufnahmevertrag mit einem Ewigkeitsgelübde über eine Milliarde Jahre unterzeichnen. Dann beginnt das Programm Estate Project Force (EPF). Caberta beschreibt den Fall einer jungen Frau in Kopenhagen: Sie lebt mit 300 Personen auf engstem Raum. Die Uniform ist ein blauer Overall, der Tag besteht aus Arbeit, Studierzeit, Schlafen. Das Wichtigste: das Erlernen der Hubbard’schen Sprache. Zitate müssen wiederholt, Begriffe umdefiniert werden. „Overts“ müssen aufgeschrieben werden. Ein „Overt“ ist eine schädliche Handlung. Vergehen werden bestraft: Die Person gilt als out-ethic und könnte sogar in einem Rehabilitationsprojekt (RPF) landen. Ehemalige RPF-Insassen sprechen von „Straflagern“: Die soll es in den USA, in England und Dänemark geben.

Auch Kinder erhalten den Drill zu Sea-Org-Mitgliedern: Wer gute Ergebnisse aufweist, wird nicht mehr „Kind“, sondern „Kadett“ genannt. Kinder werden definiert als Menschen, die kein Org-Amt ausüben. Sie müssen mindestens zehn Stunden täglich lernen. Wer nicht funktioniert, kommt in ein Kinder-RPF. Caberta beschreibt die „Therapie“ in den RPFs anhand von Fallbeispielen als „scientologische Hirnwäsche“.

Es ist kein Geheimnis, dass es für prominente US-Scientologen wie Tom Cruise, John Travolta, Kirstie Alley, Chick Corea oder Anne Archer „Celebrity Centers“ gibt. Die CC müssen sicherstellen, dass Promis in ihrem Machtbereich expandieren. Promis werden bei guten Erfolgen mit der scientologischen „Platin Meritorious Medaille“ ausgezeichnet. Ein besonderer Türöffner ist Tom Cruise: Wie Caberta schreibt, ist 2006 ein Schriftwechsel zwischen US-Außenministerium und Cruise bekannt geworden, in dem er sich für die Hilfe bedankt, in Europa gegen die Diskriminierung seiner „Religion“ zu kämpfen. Scientology ist zu einer Größe in Hollywood geworden: Hubbard-Nachfolger David Miscavige zeigte sich bei einer Oscar-Verleihung an der Seite von Cruise.

Die scientologische Tätigkeit besteht laut einem Urteil des Oberlandesgerichts München in einer „psychologischen Amateur-Analyse des Menschen, was als eine Art Gehirnwäsche bezeichnet werden kann“. Ein Ziel ist dabei offensichtlich: Die Organisation will sich etablieren, auch in der Politik. Und nichts ist für Scientology unangenehmer als negative Berichterstattung. Dagegen gibt es klare Handlungsvorgaben: Täuschungsmanöver oder „genügend Drohungen und Getöse veranstalten, um dem Feind den Mut zu nehmen / ihn zum Zittern zu bringen“, zitiert Caberta Anweisungen. Zur scientologischen Strategie gehört aber auch: „Die Aktion, für bessere Presse zu sorgen, besteht darin, Freundschaft mit einem Herausgeber zu schließen.“

– Ursula Caberta: Schwarzbuch Scientology. Gütersloher Verlagshaus, 2007, 207 Seiten, 17,95 Euro.

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