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Fake Holidays

© Reiner Riedler/Anzenberger

Sonntags: West und Ost und Wien

Wien war eine Stadt zwischen den Welten, als sie dort eine Fotoagentur gründete: Regina Maria Anzenberger lag richtig – und feiert ihre Idee 20 Jahre später mit zwei Bildbänden.

Glück gehabt! Das war die Botschaft, die Regina Maria Anzenberger in ihrer Kindheit immer wieder zu hören bekam. Großes Glück: dass Österreich nach dem Krieg nicht zum Ostblock geschlagen, sondern zur neutralen Zone erklärt wurde. Eine Art Zwischenreich, vom Westen aus gesehen das Ende, vom Osten aus der Anfang. Und ein Treffpunkt der Spione. Die Kaffeehäuser waren voll von ihnen, so wurde zumindest gern kolportiert. Schöner Grusel.

Ob es nun Glück war oder ein guter Instinkt – im Mai 1989, ein halbes Jahr bevor der Eiserne Vorhang sich hob, gründete Anzenberger, inzwischen erwachsen, eine Fotoagentur in Wien. Auch wenn ihr alle davon abrieten: Paris, London, New York, das seien die Hauptstädte der Branche, aber doch nicht das kleine Wien am Ende der Sackgasse! Aber Anzenberger, die schon in ganz jungen Jahren ihrer Kreativität freien Lauf ließ, malte und schrieb, fotografierte und illustrierte, war zur richtigen Zeit am richtigen Ort – und hat den richtigen Riecher für Talent. Ihre internationale Agentur zählt heute zu den renommierten der Branche. 50 Fotografen gehören zum harten Kern, davon stammen zehn aus Osteuropa.

Grund genug zu feiern. Zum 20-jährigen Doppeljubiläum hat Regina Maria Anzenberger „east“ und „west“ herausgegeben, zwei eindrucksvolle Bildbände mit Arbeiten ihrer Fotografen: Persönliche Projekte, die oft über einen größeren Zeitraum hinweg entstanden. So hat die Niederländerin Annet van der Voort die frappanten Metamorphosen von acht Mädchen und Frauen vom Moment des Aufwachens bis zu dem des gewappneten Aus-dem-Haus-gehen festgehalten, der Pole Rafal Milach die postsowjetische Generation der 30-jährigen Russen begleitet. Die Tschechin Christine de Grancy war an der Wolga unterwegs, der Italiener Gianmaria Gava hat in einer Laubenkolonie Klein-Österreich entdeckt.

Am Anfang war der Osten, „east“ mit goldenem Cover, kam zuerst heraus. Vielleicht, weil es noch immer einfacher ist, diesen zu erkennen. Allein die Arbeitswelt, so zeigen die Bilder des Letten Janis Pipars von Teepflückerinnen und Bäckern in Georgien, sieht – noch – ganz anders aus. Der Westen ist schwieriger zu fassen: Der, so die Beobachtung Anzenbergers, ist nirgendwo und überall. „Der Westen hat sich geografisch aufgelöst, da geht es um die Idee.“ Die im Zeitalter der Globalisierung um die ganze Welt getragen wird. Auf den Fotos wirkt der Osten oft existenzieller, der Westen vulgärer. Zu den menschlichsten, auf jeden Fall heitersten Wesen im silbern gebundenen Band „west“ gehört der Hund Pecorino, der Anzensbergers Bruder Toni in Italien zugelaufen ist.

Nicht nur die Fotos, auch die Fotografen unterscheiden sich. Ein junger Weißrusse, so Anzenbergers Erfahrung, hat ganz konkrete Ziele: eine Familie, ein Haus auf dem Land. „Dort will man was haben und aufbauen. Hier nehmen sich die jungen Leute, die tolle Reisen machen, eine Mietwohnung, das reicht ihnen.“ Gleichzeitig sei der künstlerische Anspruch bei den Osteuropäern größer, die Ausbildung und dadurch auch die Qualität in der Ausarbeitung, im Handwerk besser. „Die haben eine ganz andere Tradition in der Fotografie.“ Aber mit der wachsenden Zahl von Fotoschulen im Westen nähere man sich auch hier an.

Für Regina Maria Anzenberger selbst sind die Grenzen längst verschwommen. Ins lebendige, historische Bratislava, eine Stunde von Wien entfernt, fährt sie heute lieber als nach Graz. „Schon immer, immer“ habe sie sich als Europäerin gefühlt, die mit Vergnügen um die ganze Welt reist. Nur an einem Ort packt sie das Heimweh: in den USA. Vor allem im Supermarkt. „Dieses Lebensgefühl ist gar nicht meins.“ Im sowjetischen Russland hat sie sich mehr zu Hause gefühlt.

Die beiden von Regina Maria Anzenberger herausgegebenen Bände: „east“, Moser Verlag, 288 Seiten, 59 Euro, und „west“, Kehrer Verlag, 272 Seiten, 57,40 Euro.
www.anzenberger.com.

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