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Literatur: Tiefschlaf in der Hitze

Esther Kinskys Romandebüt „Sommerfrische“

Es ist, als würde man das Glühen des Bodens spüren, über den man mit nackten Füßen spaziert, die trockene, zerklüftete Erde, die stehende Luft, die Hitze. Kaum weht ein Hauch von Wind; das Wasser des Flusses scheint versickern zu wollen. Das Licht ist von glitzernder Helligkeit. Wenn man vom Lesen aufblickt, muss man fast die Augen zusammenkneifen.

„Sommerfrische“ heißt Esther Kinskys Debütroman, der aus einer Kette wundersam träger, heißer Geschichten besteht. Diese Episoden eines Sommers, in denen sich äußerlich fast nichts ereignet und doch so viel in der Sprache, spielen in einer „gottverlassenen Vorstadt am Ebenenrand“ und an einem schmutzig-idyllischen Ort – im „üdülö“, einer ungarischen Feriensiedlung.

Dort, nah am Fluss, stehen die Häuschen auf Stelzen, die Männer heißen Lacibácsi oder Antal, Schlangen brechen zuweilen aus der Wildnis in die wohlgeordneten Gärten der Sommerfrischler ein, als „stille Botschaft der Wildnis“. Die Mädchen tragen Glitzerschlappen, und alles scheint sich in Zeitlupe abzuspielen, als würde man von weitem auf diese vor Hitze flirrende Szenerie blicken.

Alles ist unscharf, und doch ist alles ganz genau. „Gelächterwolken, Streitfetzen, Schweigen treiben wolkenweise durch den Abend, ein fremdes Schweigen bleibt im Mückengitter von zwei Lachern hängen und schämt sich, ein Kreischen, Keuchen, Atemhasten lässt sich erschöpft auf dem Weinspalier nieder, in dem es von bitteren Wortschnitten wimmelt, die nicht wissen wohin. Und alles ruht in der großen Beuge der Autobrücke über den Fluss, im Spuckfeld der Lastwagenfahrer, die doch nur träumen können vom süßen Leben im üdülö.“

Traumhaft erscheint diese lyrische, in jedem Satz Gerüche, Geräusche und Gefühle erweckende Prosa. Die Wirkung entsteht durch ein schwebendes Verfahren: Die Figuren und die Landschaft bleiben einem bis zum Ende fremd, aber diese Fremdheit wird mit größter Präzision beschrieben. Wie die „Neue Frau“, die eines Tages an diesem Ort auftaucht und mittendrin ist, ohne aufgenommen zu sein, ist auch der Leser ein Gast in dieser Welt.

Ihre Bewohner leben wie in einer stillgestellten Zeit: Man ahnt zuweilen die sozialen Verwerfungen; man liest von Schrotthändlern, Prostituierten, kleinen Provinzfürsten und auseinanderbrechenden Familien; selbst im grellsten Sonnenschein lässt sich der Schatten des Verfalls auf diese unwirkliche Gegend nieder. Und doch scheint hier ein Tiefschlaf zu herrschen, die alten Regeln des Sich-Durchwurschtelns bleiben bestehen, die Erzählung erhascht immer wieder einen Moment der Poesie, der im Verlorenen und Verlorengehenden liegt.

Esther Kinsky, 1956 geboren und in Berlin lebend, erfindet für diesen Zwischenzustand Worte – unverbrauchte, ungehörte Worte; sie erschafft eine bestehende Welt noch einmal neu: „Nachts kommen alle Träume aus dem Sandsatz und Kies zurück, die wir hier geträumt haben, sie kommen aus dem ganzen bloßliegenden Muschelmutt gekrochen, wieder dahin, wo sie hergekommen sind.“

Esther Kinsky hat sich als Übersetzerin aus dem Polnischen (etwa von Olga Tokarczuk), Russischen und Englischen einen Namen gemacht und ihren Sinn für Töne und Zwischentöne geschärft. In ihrem Erzähldebüt kann man ihnen auf wunderbare Weise lauschen.

Esther Kinsky:

Sommerfrische.

Roman.

Matthes & Seitz,

Berlin 2009.

118 Seiten. 16,80 €.

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