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Tipps: Lesestoff

Heute: Eckhard Jesse: Diktaturen in Deutschland. Diagnosen und Analysen. Nomos Verlag, Baden-Baden 2008, 552 Seiten, 69 Euro.

Als Mitherausgeber des Jahrbuchs „Extremismus und Demokratie“ ist Eckhard Jesse einer der berufensten Autoren zum Thema Diktaturen in Deutschland. Der Vorsitzende der Deutschen Gesellschaft für Politikwissenschaft hat in zwei Jahrzehnten – auch schon vor 1989 – zahlreiche Beiträge über die beiden Diktaturen in Deutschland veröffentlicht. Zwei Dutzend davon kann man jetzt in einem Sammelband nachlesen, von seiner Darstellung des Historikerstreits als „ein deutscher Streit“ 1988 bis zu der Streitfrage 2005, ob es sich bei Hitlers und Ulbrichts Herrschaftssystemen um „zwei deutsche Diktaturen“ gehandelt habe. Mit gutem Grund besteht er darauf, diesen Terminus abzulehnen und stattdessen von zwei Diktaturen in Deutschland zu sprechen: Denn während Hitlers Reich eine genuin deutsche Diktatur gewesen sei, müsse die DDR als „im deutschen Namen ausgeübte Diktatur“ unter sowjetischer Ägide betrachtet werden. Jesse legt Wert auf solche Differenzierung, auch in der Frage nach dem totalitären Charakter der DDR.

In mehreren Beiträgen geht er den Konzepten der Totalitarismustheorie nach; ihren Ursprung hatte sie in Italien, wo Mussolini den von Amendola geprägten Begriff positiv für sich in Anspruch nahm. Seine negative Ausprägung und Anwendung auf die beiden „Großtotalitarismen“ des Nationalsozialismus und des Sowjetkommunismus erfuhr er durch Carl Joachim Friedrich, Zbigniew Brzezinski und Hannah Arendt. Obwohl er auf dem Höhepunkt des Kalten Krieges als ideologische Waffe gegen die Sowjets diente – was Herbert Marcuse nicht hinderte, auch im „eindimensionalen Menschen“ des Westens totalitäre Züge zu entdecken –, hält Jesse an seiner wissenschaftlichen Brauchbarkeit fest. „Wer eine Bilanz des 20. Jahrhunderts zieht“, bekräftigt er, „kommt nicht ohne den Begriff des Totalitarismus aus.“ Das gilt sowohl für Vertreter des Mainstreams wie Karl Dietrich Bracher wie für Ernst Nolte als Kombattanten des Historikerstreits.

Entschieden verteidigt er die Vergleichbarkeit totalitärer Staaten im Hinblick auf ihre Herrschaftstechniken. Vergleichbarkeit sei eben nicht völlige Gleichsetzung, wenn der Nationalsozialismus sein Feindbild durch Rassenhass, der Kommunismus durch Klassenhass bestimmt habe. Auch habe die DDR – anders als der Sowjetkommunismus – weit weniger Opfer gefordert als der völkermordende NS-Staat. Dennoch bleibt das Fazit: „Der Hinweis auf unterschiedliche Züge kommunistischer und faschistischer Systeme wie auf deren unterschiedliche soziale Basis erschüttert nicht den Kern des Totalitarismus-Konzepts, das die Herrschaftstechnik zu erfassen versucht.“ 

Hannes Schwenger

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