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Verbrecherjagd: Braunes Großwild

Kolja Mensing bringt Licht ins Dunkelste der deutschen Geschichte

Der deutsche Kriminalroman arbeitet sich unermüdlich am Nationalsozialismus ab. Ein bisschen gespenstisch ist das schon: Christian von Ditfurth zum Beispiel hat mit „Labyrinth des Zorns“ bereits den fünften Band seiner Reihe um Josef Maria Stachelmann veröffentlicht – einem gescheiterten Historiker, der als Privatdetektiv immer wieder mit Fällen zu tun hat, deren Vorgeschichte in die „dunklen Jahre“ zwischen 1933 und 1945 zurückreicht. Und auch Ulrich Ritzel beginnt seinen neuen Roman „Beifang“ (btb-Verlag, München 2009, 462 Seiten, 19,95 €) mit einer beklemmenden Dorfszene aus der Zeit des Zweiten Weltkriegs, springt dann allerdings erst einmal recht unvermittelt in die Gegenwart.

In Ulm wird eine junge Frau ermordet, die als hochbezahlte Prostituierte gearbeitet hat. Kriminalkommissar a. D. Hans Berndorf wird durch einen Zufall in die Ermittlungen hineingezogen und findet Hinweise darauf, dass mit dem Mord ein Sexskandal in den Kreisen der Landesregierung vertuscht werden soll.

Es wird eine doppelte Recherche. Während der ehemalige Polizist – Hans Berndorf ist ein alter Bekannter aus früheren Romanen von Ulrich Ritzel – den Mörder sucht, stößt er auf ein seltsames Schmuckstück, das das Opfer noch kurz vor seinem Tod getragen hat. Es handelt sich um einen traditionellen jüdischen Hochzeitsring. Damit wird der Detektiv zum Historiker. Nach und nach trägt er die Bruchstücke einer alten Geschichte zusammen, die sich in der Rückblende am Anfang des Roman bereits angekündigt hatte: Der Ring stammt aus dem Besitz einer Jüdin, die im Jahre 1942 aus einem Altersheim am Rand der Schwäbischen Alb nach Theresienstadt deportiert und dort umgebracht wurde. Das ist der eigentliche „Fall“, um den es hier geht. Berndorf gelingt es zuletzt sogar, in Israel Kontakt mit den Nachfahren der jüdischen Frau herzustellen, um ihnen die Ergebnisse seiner „Ermittlungen“ mitzuteilen. Vermutlich macht gerade das einen ansonsten eher durchschnittlichen Krimi wie „Beifang“ so attraktiv: Er wiegt uns in der trügerischen Vorstellung, dass selbst ein Verbrechen wie der Massenmord an den europäischen Juden lückenlos aufgeklärt werden könnte.

1939 gab man sich dagegen ganz anderen Illusionen über den Nationalsozialismus hin. Unter anderem gingen in Großbritannien nicht wenige Politiker davon aus, dass das faschistische Regime nicht mehr als eine rüpelhafte Episode sei, die man nicht besonders ernst nehmen müsse. Geoffrey Household veröffentlichte damals, am Vorabend des Zweiten Weltkriegs, seinen Thriller „Einzelgänger, männlich“ (Aus dem Englischen von Michael Bodmer. Kein & Aber, Zürich 2009, 231 Seiten, 16,90 €), der jetzt gerade neu übersetzt worden ist.

Am Anfang macht sich ein gelangweilter englischer Aristokrat, der das ganze Buch über ohne Namen bleiben wird, mit einer „Büchse aus der Bond Street“ auf die Pirsch, um das „mächtigste Großwild der Welt“ zur Strecke zu bringen: Er will Adolf Hitler töten. Doch der Anschlag misslingt, der Jäger wird zum Gejagten. Die Schergen der Gestapo hetzen den Attentäter bis zur Nordseeküste, und nachdem er in letzter Minute als blinder Passagier auf einem Schiff nach England entkommen kann, heftet sich dort gleich nach der Ankunft ein sadistischer deutscher Geheimagent an seine Fersen und folgt ihm aus London hinaus aufs offene Land.

„Einzelgänger, männlich“ ist ein schweißtreibender Thriller nach dem Vorbild von John Buchans Genre-Klassiker „Die neununddreißig Stufen“ – und ein ausgesprochen hellsichtiges Stück Literatur. Am Ende seines Jagdausflugs wird der „gesittete Gentleman“ in die Ecke getrieben und zieht sich inmitten der gepflegten Parklandschaft von Dorset in ein Erdloch zurück, wo er mit zynischem Unterton den „Fanatismus des Ausharrens“ zur bedeutendsten englischen Tugend erklärt. In der Rückschau ist das eine bittere Erkenntnis. Kurz nachdem Geoffrey Households Roman in die Buchläden kam, marschierte die Wehrmacht am 1. September 1939 in Polen ein. Großbritannien wartete bekanntlich noch einmal zwei Tage, bis es Deutschland den Krieg erklärte. Aber darauf kam es jetzt auch nicht mehr an.

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