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Verbrecherjagd: Fußball oder Leben

Kolja Mensing über Südafrika-Krimis vor der WM - ob man dann noch Lust auf Fußball hat, ist jedoch fraglich.

Sonntag, der 13. Juni 2010. Deutschland und Australien eröffnen in Durban, Südafrika, die Endrunden-Spiele der Gruppe D. Das deutsche Team geht schnell in Führung, und gerade hat Lukas Podolski für das 2 : 0 gesorgt, als in der Vip-Lounge ein Mann beiläufig sein Handy aus der Tasche zieht. Der Countdown läuft: In wenigen Sekunden wird er mit einem Tastendruck einen Sprengsatz zünden und ein tödliches Virus unter den 70 000 Zuschauern im Moses-Mabhida-Stadion freisetzen.

Stell dir vor, die WM hat begonnen, und das Ganze entwickelt sich zu einem echten Albtraum – das ist die Grundidee von Edi Grafs „Bombenspiel“ (Gmeiner Verlag, Meßkirch 2010, 326 S., 11,90 €). Der Autor ist eine ehrliche Haut. Von Fußball verstehe er nichts, schreibt Graf im Vorwort, aber er sei halt angefragt worden, einen Krimi zu schreiben, „der die Weltmeisterschaft in Südafrika zum Thema hat“. Für eine Auftragsarbeit mit strenger Themenvorgabe liest sich das Buch eigentlich ganz spannend: Nach einem Ausblick auf den geplanten Anschlag springt Graf zwei Jahre zurück und verwickelt eine Handvoll weitgehend harmloser Figuren in raschem Tempo in einen haarsträubenden Fall von Bioterrorismus.

Aber braucht man wirklich einen Afrikakrimi aus deutscher Herstellung? Thriller haben sich in den letzten Jahren zu einem hochdifferenzierten Globalisierungsprodukt entwickelt, und wir werden zuverlässig mit Qualitätsware aus der ganzen Welt versorgt – auch aus Südafrika. Einer der prominentesten Vertreter seines Landes dürfte Deon Meyer sein. Mit „Dreizehn Stunden“ (Aus dem Afrikaans von Stefanie Schäfer, Aufbau Verlag, Berlin 2010, 470 S., 19,95 €) erscheint dieser Tage sein sechster Roman auf Deutsch. In Kapstadt ist eine amerikanische Touristin ermordet worden, und Benny Griessel, ein trockener Alkoholiker und notorisch zweifelnder Polizeiinspektor, bekommt Druck. Seine Vorgesetzten sind weniger an den Hintergründen des Verbrechens interessiert als an der Frage, wie sich der Fall auf das Ansehen des Landes auswirkt. Touristen sind „das neue Gold Südafrikas“, tote Ausländer liefern da die falschen Schlagzeilen.

Fußball wird in „Dreizehn Stunden“ mit keinem Wort erwähnt. Aber natürlich ist die WM in Südafrika nicht nur eine Sportveranstaltung, sondern auch eine gigantische Image-Kampagne für ein Land, das sich bis heute nicht von den Folgen der Apartheid erholt hat. „Ke Nako. Celebrate Africa’s Humanity“ lautet darum das Motto der Weltmeisterschaft: „Es wird Zeit. Feiern wir Afrikas Menschlichkeit.“

Wenn Sie daran glauben möchten, sollten Sie sich auf jeden Fall vor Roger Smith in Acht nehmen. Der Shooting Star der jüngeren südafrikanischen KrimiSzene inszeniert sein brutales Gangster-Drama „Blutiges Erwachen“ (Aus dem Englischen von Jürgen Bürger und Peter Torberg. Tropen. Stuttgart 2010, 355 Seiten, 19,90 €) hinter einer der deprimierendsten Kulissen Südafrikas: in den „Flats“, einem riesigen Elendsquartier bei Kapstadt.

Zu Zeiten der Apartheid wurden hier die Schwarzen eingepfercht, zusammen mit den „coloured people“. Die sogenannten Farbigen – „Mischlinge“ mit schwarzen und weißen Vorfahren – sind die Verlierer des neuen Südafrikas. Während sich die Situation der Schwarzen durch die „affirmative acts“ mittlerweile deutlich verbessert hat, leben viele der „brownies“ bis heute in Armut.

Einer, der es geschafft hat, ist der ehemalige Polizist Billy Afrika, der mittlerweile als Söldner in internationalen Krisengebieten arbeitet. Als er von einem Einsatz im Irak zurück in die Flats kommt, um eine alte Schuld abzutragen, muss er feststellen, dass das wahre Kriegsgebiet seine eigene Heimat ist: Aids, Drogen und Drive-by-Shootings haben aus den Flats ein verwüstetes Schlachtfeld gemacht, und inmitten der Trümmer sammeln die Gangs bereits ihre Truppen für die nächste Auseinandersetzung.

Roger Smith ist ein schlechter Kulturbotschafter: „Blutiges Erwachen“ ist mit Sicherheit hoffnungsloser als alles andere, was man zur Zeit über Südafrika lesen kann. Vielleicht schauen Sie trotzdem einmal rein. Auf Fußball haben Sie danach aber wahrscheinlich keine Lust mehr.

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