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Verdammter Erfolg: F. Scott Fitzgerald neu aufgelegt

Die Liebe, das Glück, das Geld und die Qual: F. Scott Fitzgeralds Erzählungen in einer Neuausgabe.

Er wurde 44 Jahre alt, schrieb fünf Romane (davon einen unvollendeten) und rund 160 Erzählungen, deren astronomisch hohe Honorare ihm den ausschweifenden Lebens-, Trink- und Leidensstil ermöglichten, für den er bekannt und sogar sprichwörtlich wurde. „Fitzgeraldisch“, so nennt man nicht nur Erzählungen, in denen junge amerikanische Männer und Frauen nach Ansehen, Liebesglück, Geld und Ruhm streben, um am Ende der schnellen, Haken schlagenden Handlungsläufe nicht selten die Scherben ihrer Lebensträume zusammenzukehren. „Fitzgeraldisch“ nennt man auch das dekadente Lebensgefühl eines amerikanischen Jahrzehnts, das als „Roaring Twenties“ oder „Jazz Age“ bekannt geworden ist. Feierlust und Aufstiegssucht bildeten, getragen vom wirtschaftlichen Aufschwung, eine Euphorieblase, in der alles möglich schien: Abenteurer überflogen den Atlantik, ehrgeizige Hausangestellte wurden Firmenbesitzer, die Automobil- und Filmstarindustrie boomte, und auch an der Börse ließ sich schnell Geld verdienen.

F. Scott Fitzgerald war der Chronist dieser Ära, sein erster Roman „Diesseits vom Paradies“ machte ihn 1920 im Alter von vierundzwanzig berühmt. Er und seine Frau Zelda bildeten das Vorzeigepaar schlechthin, die Verkörperung des amerikanischen Traums. Aber vor allem war er der Elegiker des kollektiven Katers, nachdem die Weltwirtschaftskrise der Dauerparty 1929 ein abruptes Ende beschert hatte. In Fitzgeralds Erzählungen der dreißiger Jahre stehen nicht mehr fehlendes Geld oder Standesunterschiede dem Liebesglück zwischen Mann und Frau im Weg, sondern Alkoholismus, Selbstsucht, Fehltritte der Vergangenheit oder eine psychische Zerrüttung, die das Strahlen, das verschwenderische Leben auf Dauer mit sich bringt. Schon 1924 waren Zelda und er ins billigere Europa gezogen, um ihre Ausschweifungen zu finanzieren; als 1925 „The Great Gatsby“ erschien, Fitzgeralds bekanntester Roman, tingelte das Paar zwischen der Riviera, Rom und Paris hin und her wie die flatterhaften Figuren aus seinen Erzählungen und Romanen. Nicht nur in diesen ging der wirtschaftliche mit dem persönlichen Bankrott Hand in Hand, auch im wirklichen Leben gab es wundersame, schreckliche Parallelen. Kurz nach dem Börsencrash erlitt Zelda einen Nervenzusammenbruch und verbrachte – nicht zum letzten Mal – Monate in einer psychiatrischen Klinik. Ein Jahr später zog das Paar nach Amerika zurück, und Scott ging nach Hollywood, um Drehbücher zu schreiben, denn bei den Redakteuren der Magazine und Zeitungen, die ihm früher seine Geschichten aus den Händen gerissen hatten, war sein Stern am Sinken. Er starb 1940 an einem Herzinfarkt, nachdem er in einer Reihe von Artikeln seinen Kollaps protokolliert hatte, und hinterließ den unvollendeten Roman „Die Liebe des letzten Tycoon“.

Dass die Zeit über die Literatur von F. Scott Fitzgerald nicht hinweggehen kann, wissen wir längst. Das beweist einmal mehr die großartige Neuausgabe seiner Werke im Diogenes-Verlag. Nach den Romanen sind jetzt vier Bände mit Erzählungen neu erschienen, fast hundert strahlende Geschichten, darunter 26 deutsche Erstveröffentlichungen. Zeitlos sind diese Geschichten, weil sie von dem immer gleichen Drama erzählen, das sich wohl in unendlichen Variationen abspielen wird, solange es Gesellschaft gibt: dem Wunsch, dazugehören zu wollen, und der Schwierigkeit, sobald man das Glück gefunden zu haben glaubt, es zu behalten.

Fitzgerald wollte alles, auch im Schreiben. Von berückender Schönheit sind seine Sätze und Absätze, Einheiten von fünfzehn, zwanzig Zeilen Länge, in denen es ihm zauberhaft gelingt, Stimmungen und Figuren so plastisch zu konturieren, dass man unter der Treffsicherheit der eleganten Formulierung das wahre Leben zu spüren meint. Warum das so ist, erfährt man in dem Essay „Hundert Fehlstarts“, in dem Fitzgerald den schwierigen Prozess des Kurzgeschichtenschreibens festhält. Um den Erzählungen den nötigen Unterdruck zu geben, schrieb er sie in drei Schüben – zumindest nahm er es sich so vor. In Wirklichkeit arbeitete er meist Wochen und unter Qualen an ihnen. Der Unterdruck resultiert weniger aus dem Schreibfluss als vielmehr aus einer andauernden existenziellen Ausnahmesituation. „Ich bin sechsunddreißig Jahre alt. Seit achtzehn Jahren ist – mit einer kurzen Unterbrechung während des Krieges – das Schreiben meine Hauptbeschäftigung, und ich bin in jedem Sinn ein Profi. Trotzdem überkommt mich auch jetzt noch, wenn wieder einmal der Ausruf ’Das Baby braucht Schuhe’ ertönt und ich mich vor meine gespitzten Bleistifte und meinen Schreibblock setze, ein Gefühl grenzenloser Hilflosigkeit.“

Bis zu 4000 Dollar zahlten Magazine für eine Erzählung, das Vierfache des Jahresgehaltes eines Arbeiters. Ein Luxus. Und ein ungeheuerlicher Druck. Fitzgerald war zur Brillanz verdammt und durchlebte beim Schreiben einer Geschichte die Ängste des Ausgestoßenseins, die verbissenen Kämpfe des Emporkommens und die Entspannung des Gelingens und des Erfolges, also genau jenes extreme Wechselbad der Gefühle, dem seine Figuren ausgesetzt sind. Da er das schnell verdiente Geld rasend schnell wieder ausgab, begann das aufreibende Spiel regelmäßig von vorn. Ganz so, als habe ein gnadenloser Gott der Literatur F. Scott Fitzgeralds Seelenruhe für die Unbedingtheit und Wucht seiner Erzählungen geopfert – für unser immer wieder neues Leseglück.

F.Scott Fitzgerald: Gesammelte Erzählungen. Übersetzt von Bettina Abarbanell, Dirk van Gunsteren und Christa Hotz. Diogenes-Verlag, Zürich 2009. 2976 S., 89 €.

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