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Literatur: Verschwendung ist Sünde

Gefundenes von William Burroughs und Jack Kerouac

Von Gregor Dotzauer

Als Lucien Carr, ein 19-jähriger Student der New Yorker Columbia University, im August 1944 seinen 14 Jahre älteren Verehrer David Kammerer erstach, nach allen Regeln der Kunst verschnürte und im Hudson versenkte, war dies, wie es bis heute gerne heißt, „der Mord, der die Beat-Generation gebar“. Denn Carr, der sich von Kammerer verfolgt fühlte, vertraute sich seinen Freunden Jack Kerouac und William S. Burroughs an, die, nachdem er sich gestellt hatte, als Zeugen vernommen wurden. Auf einmal sah auch für sie die Welt anders aus. Burroughs, Spross reicher Eltern und ein alter Bekannter von Kammerer, blieb zwar gegen Kaution auf freiem Fuß, suchte aber in der Folge wochenlang seinen Psychiater auf und verfiel binnen Jahresfrist einer Morphinsucht, die er nie mehr loswurde, Später kultiviert er sie in Romanen wie „Junkie“ und „Naked Lunch“. Jack Kerouac wanderte erst einmal ins Gefängnis.

Beide waren sie damals bestenfalls Möchtegern-Schriftsteller. Aber der Entschluss, das Verbrechen literarisch zu verwerten, stand schnell fest. Anders als ihr Freund Allen Ginsberg, der die Ereignisse halbwegs getreulich zu rekonstruieren versuchte, fiktionalisierten sie das Ganze – im kapitelweisen Wechsel – zu einem maulfaulen Hardboiled-Divertimento. Es gibt darin eine von der „Verschwendung als dem Bösen und der Schöpfung als dem Guten“ philosophierende Carr-Figur: „Solange du kreativ bist, ist alles gut. Die einzige Sünde ist die Verschwendung deiner Möglichkeiten.“ Und es gibt eine Cocktailgläser blutig zerkauende Kammerer-Figur. Ingesamt aber weist „Und die Nilpferde kochten in ihren Becken“ weder auf Burroughs’ danteskes Talent noch auf Kerouacs traurig-nervöse spontaneous prose voraus, die er für „On the Road“ im Sinn hatte. Um es überhaupt lesbar zu machen, hat James Grauerholz, Burroughs’ langjähriger Lebensgefährte, ganze Absätze umgestellt und eingefügt. Das Buch, Kerouac selbst zufolge Gertrude Steins „Lost Generation“ verpflichtet, ist alles andere als die Gründungsschrift der Beat-Generation. Zu seiner Zeit erst von allen Verlagen abgelehnt und dann von Burroughs zurückgehalten, zeugt es heute vom falschen Glanz eines Jahrzehnte alten Mythos. Man lese es als Fan – und als 150-seitige Fußnote zu einem instruktiven 25-seitigen Nachwort. Gregor Dotzauer

William S. Burroughs, Jack Kerouac: Und die Nildpferde kochten in ihren Becken. Roman. Aus dem Englischen von Michael Kellner. Nagel & Kimche, Zürich 2010. 190 S., 17,90 €.

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