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''Villa Ginestra'': Der Duft des Kriegs

Das Kunstschöne und der Schrecken: Fred Lichts spätes Romandebüt "Villa Ginestra".

Gegen Ende des Zweiten Weltkriegs kehrt ein junger Mann mit den von Süditalien vorstoßenden Truppen der US-Armee nach Florenz zurück. Er besitzt noch den Schlüssel zur Villa seiner Cousine, in der er bis zu seiner Emigration vor wenigen Jahren gelebt hat. Aber das Wiedersehen gestaltet sich anders als erwartet. Aus der weltgewandten aufgeschlossenen Dame des Hauses, die für ihre Empfänge und musikalischen Soireen bekannt war, ist eine stille Person geworden, die ihn zurückhaltend, fast wie einen Fremden begrüßt.

„Villa Ginestra“ ist das späte Debüt des 1928 in Berlin geborenen, heute in Venedig lebenden Kurators der dortigen Peggy Guggenheim Sammlung und Goya-Spezialisten Fred Licht – ein Roman, der mit langem Atem die Stimmung der Mussolini-Ära einfängt und den Krieg als innere Erfahrung einer reichen kunstbegeisterten Frau beschreibt: Renée, die aus einer Genfer Bankiersfamilie stammt, gibt dem in ihren Kreisen üblichen Mäzenatentum neues Leben, indem sie ihre Florentiner Villa zum Treffpunkt von Dichtern, Philosophen und Musikern macht, sie großzügig allen als Refugium anbietet, die in Not oder in Schaffenskrisen geraten sind. Ihren jungen Neffen Harry hat sie von der für ihn vorgesehenen Bankkarriere abgebracht, er soll einmal ihr kulturelles Erbe antreten. Als Harry, dessen Geschichte den erzählerischen Rahmen bildet, in Florenz Kunst studiert, hat sich das für die schönen Künste offene Haus bereits auf dramatische Weise in eine Herberge verwandelt, es wird zur Zwischenstation für die, die aus Europa zu fliehen versuchen – wie auch der Philosoph Jacobson, in dem man Walter Benjamin erkennt.

Die „Villa Ginestra“ hat ihren Namen nach Leopardis Gedicht über den Ginster, der, ständig vom Verdorren bedroht, an den Hängen des Vesuvs wächst. In welch gefährlicher Lage sie sich selbst befindet, beginnt Renée im Krieg zu ahnen, als sie, wie um den dunklen Zeiten zu trotzen, in ihrer entleerten Villa Hauskonzerte veranstaltet, die schließlich nur noch unter den Augen der deutschen Besatzung stattfinden können.

Ein Stabsoffizier mit dem französischen Namen Thouet verspricht ihr, sich für die Genehmigung der Soireen einzusetzen. Bald darauf bezieht er in der Villa Quartier. Thouet schätzt besonders Haydns späte Streichquartette, auf seinen Wunsch werden sie jeden Nachmittag gespielt, wenn er von seiner Tätigkeit zurückkehrt. „Der Frieden, der Sie wie ein Duft umgibt“, erklärt er seiner Gastgeberin, „hat meinen Glauben erneuert.“

Thouet, der für die Gestapo Verhöre durchführt, um italienischen Partisanen auf die Spur zu kommen, ist als Figur scharf umrissen und zugleich gesichtslos: ein hochkultivierter Verächter des Schönen, Vollendeten in der Kunst, ein Empiriker, der hinter der Musik nichts sucht, nichts „Höheres“ gelten lässt und – wie ein Söldner – bereits über Krieg und NS-Zeit hinausdenkt, überzeugt, dass Spezialisten der psychologischen Kriegführung und der Folter immer gebraucht werden. Renée, die schließlich erfährt, mit wem sie es zu tun hat, ist fassungslos. Sie ist einem Menschen begegnet, dessen Denken, dessen ganze Existenz sie nicht für möglich gehalten hat. Dass sie sich in ihrem Haus wie auf einer der Zeit entrückten Insel fühlte, geschützt durch ihre Hausgötter Mozart, Shakespeare und Rembrandt, hat sich als fataler Irrglaube erwiesen, der Krieg kam durch die Vordertür herein.

Renées Kriegstagebuch gelangt später in Harrys Hände, zusammen mit den ebenfalls im Krieg entstandenen Erinnerungen ihres englischen Dauergastes Craig Perrin. Auch sie variieren, wie sich zeigt, das Thema einer Kunst, die sich fremden Gesetzen beugt, missbraucht wird. Perrin hatte sich als junger Schriftsteller auf das zweifelhafte Angebot des Secret Service eingelassen, durch ein gefälschtes Tagebuch den Ruf eines einflussreichen irischen Freiheitskämpfers zu ruinieren. Der Politiker wurde zu Fall gebracht, aber die Fälschung blieb Perrins einzige literarische Leistung, überstrahlte sein ganzes korrumpiertes Leben mit der Aura der Fiktion.

„Villa Ginestra“ ist ein Roman über Geld, Kunst und Macht. Wie sich deren Verhältnis im vorigen Jahrhundert gewandelt hat, wird überzeugend an der Begegnung von drei phänotypischen Persönlichkeiten vorgeführt. Streckenweise wirken sie allerdings wie Ideenträger, denen aufgebürdet wird, das verlorene Vertrauen in die Moderne insgesamt zu erklären. Vielleicht muss Harry, der sich mit der Rolle des Nachlassverwalters begnügt, deshalb manchmal etwas blass neben ihnen wirken.

Fred Licht: Villa Ginestra. Roman. Aus dem Englischen von Angela Praesent. Eichborn, Frankfurt a. M. 2008. 453 S., 32 €.

Rolf Strube

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