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Literatur: Von Affen und Mäusen

Neuer Feminismus: Karen Duve hat einen Taxi-Roman geschrieben

Manchmal gibt es sie noch, diese alten Mercedes-Taxis mit den scharfkantigen Konturen, Schaltgetrieben und diesen räudigen Plastikledergarnituren. Sie erinnern daran, dass man winters immer das Gefühl hatte, auf einer Eisplatte zu sitzen. Sommers hingegen blieb man an dem braunen Zeug kleben, aus dem ansonsten gern ein dezenter Uringeruch aufstieg. Gelenkt wurden jene RAL 1015-farbenen Karossen von einer Spezies, von der man auch nur noch selten was hört: dem arbeitslosen Akademiker. Er trug Lederjacke und las in den Fahrpausen demonstrativ ein Suhrkampbändchen; am Zustand seiner Frisur ließ sich einigermaßen treffsicher ablesen, wie weit er sich bereits aufgegeben hatte. Heute sind die Taxis fest in türkischer Hand, und wer nach dem Bachelor keinen Job bekommt, wird Praktikant oder Yogalehrer.

Nun gibt es wahrscheinlich nur wenige Orte, die den wahren Zustand der Gesellschaft so auf den Punkt bringen, wie der klar umgrenzte Innenraum eines Taxis. Eine, die diese Art volkskundlicher Feldforschung in extenso betrieben hat, ist Karen Duve. Dreizehn Jahre lang fuhr sie im Benz durch Hamburg, ehe sie beim Open Mike entdeckt wurde und bald darauf der „Regenroman“ erschien. Deshalb war es eigentlich verwunderlich, dass eine menschliche Schwächen, Zwänge und Lächerlichkeiten so unbarmherzig beschreibende Autorin wie Duve bislang darauf verzichtete, einen Taxi-Roman zu schreiben. Jetzt ist er da.

Alex Herwig heißt die Heldin, die bald nach dem Abitur ihre tödlich öde Ausbildung zur Versicherungskauffrau abbricht und ihre einzige Chance, dem spießigen Elternhaus zu entkommen, im Stellenmarkt der „Bild“-Zeitung sieht: „Ich meldete mich auf eine Anzeige, in der nicht nur Taxifahrer, sondern ausdrücklich auch Taxifahrerinnen gesucht wurden. 1984 war es in Stellenanzeigen noch nicht üblich, jedem Beruf auch noch eine weibliche Endung anzufügen. Man tat es nur, wenn man andeuten wollte, dass man praktisch jeden nahm.“

So geschieht es, und fortan nimmt die gut aussehende, aber phlegmatische Alex unter der Funknummer „Zwodoppelvier“ den Kampf mit Straßennamen, Betrunkenen, Hamburger Luden und geizigen Elbvororts-Witwen auf. Da ihr das Sich-Abgrenzen Schwierigkeiten bereitet, landet sie nicht nur in einer Fahrerclique aus Künstlern, Germanisten und Philosophen, sondern auch in etlichen desaströsen Beziehungen. Binnen kurzer Zeit wird aus der ziellosen Vorstadt-Unschuld, deren einzige Leidenschaft bis dato die Primatenforschung war, eine Spezialistin in Sachen Homo sapiens. Die unerkannte Dian Fossey des Großstadtdschungels.

An diesem Punkt beginnt auch der Roman mehr zu werden als „nur“ die Coming-of-Age-Story einer jungen Frau. Plötzlich legt er seinen zweifelhaften Achtzigerjahre-Charme ab und klinkt sich in eine aktuelle Diskussion ein. Denn der latente Selbsthass, der als ein wohlbekanntes Gefühl Duvescher Frauenfiguren auch in dieser Protagonistin steckt, löst bei den Männern einen seltsamen Reflex aus. Er erscheint wie eine Art Freibrief, bestehende zivilisatorische Verhaltensregeln abzulegen. Sie lassen also den Schimpansen raus, versäumen es jedoch nicht, das etwa mit wissenschaftlichen Erkenntnissen über weibliche und männliche Hirngrößen zu unterfüttern. Erstere seien kleiner und daraus rechtfertige sich der Fortgang der Geschichte. Natürlich gibt es auch Exemplare, die sich nicht ganz so viel Mühe machen und ihre Absichten mit einem „Was bist du denn für eine süße, kleine Maus?“ kundtun.

„Ich fürchte, intelligente Frauen werden gar nicht darum herumkommen, sich wieder zum Feminismus zu bekennen.“, schrieb Duve 2006. Da hatten Frank Schirrmacher, Matthias Matussek und Eva Herman gerade die natürliche Berufung der Frau als Mutter und Hüterin des heimischen Feuers wieder entdeckt. Eine Diskussion, die nach der „Feuchtgebiete“-Debatte etwas in Vergessenheit geraten ist. Nun ist „Taxi“ keine Antwort darauf, was auch daran liegen mag, dass Realismus der Autorin näher ist als Idealismus. Aber es ist außerordentlich anregend, den Roman auch aus diesem Blickwinkel zu betrachten.

Unabhängig davon erzählt er in der für Karen Duve typisch spröden Komik vom Alltag zwischen Kurzstrecke und Warteschlange. Um Sehnsüchte und enttäuschte Hoffnungen geht es, Neurosen und Liebe, das Leben eben, das in verschiedener Gestalt auf dem siffigen Kunstleder der Funknummer „Zwodoppelvier“ Platz nimmt. Eines Tages wird dort auch ein echter Affe sitzen und die Geschichte in einem Thelma-and-Louise-haften Showdown zu Ende bringen. Doch schon lange zuvor ist klar: Nie wieder wird man auf die gleiche Art im Taxi fahren wie vor der Lektüre dieses Romans.

Karen Duve: Taxi. Roman. Eichborn Berlin, Berlin 2008. 312 Seiten, 19, 95 €.

Silja Ukena

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