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Wann wurde Hitler zum Nazi?: Des "Führers" Jugendzeit

Biografie des Anfangs.

Über keine Figur des 20. Jahrhunderts dürfte in den letzten Jahrzehnten mehr geforscht worden sein, als über Adolf Hitler. Dennoch gibt es Phasen in seinem Leben, über die bis heute nur wenig bekannt ist; beziehungsweise unser Wissen sich weitgehend darauf beschränkt, was die NS-Propaganda geliefert hat. Ein Beispiel dafür sind die Kindheits- und Jugendjahre Hitlers bis zur Übersiedelung nach München 1913.

Es mangelt an Quellen

Diese Lücke wollen Hannes Leidinger und Christian Rapp schließen. Das ist keine leichte Aufgabe, weil verlässliche Quellen dünn gesät sind und Hitler die wenigen Spuren später gezielt beseitigen ließ. Hinzu kommt, dass Hitler ein notorischer Einzelgänger war, was den Kreis der Zeitzeugen stark einschränkte. Herausgekommen ist dennoch ein bemerkenswertes Buch, das sich mit der Frage befasst: Wo und wann liegen die Ursprünge für Hitlers Radikalisierung?

Geht man in der Forschung derzeit davon aus, dass Hitler sein politisches Weltbild in der Zeit nach dem Ersten Weltkrieg formte, liefern Leidinger und Rapp Hinweise darauf, dass einzelne Komponenten davon bereits vor 1914 präsent waren, wenn auch rudimentär und nicht als ein geschlossenes Ganzes.

Zwei Phasen: Kindheit und Jugend

Demnach lässt sich die Genese seines frühen politischen Denkens in zwei Phasen unterteilen. Zum einen die Linzer Jahre bis 1907, die geprägt waren von den alldeutschen und radikalnationalistischen Strömungen des Milieus, in dem Hitler aufwuchs und sozialisiert wurde, und mit denen er sich – wenngleich noch eher spielerisch – identifizierte. Etwa wenn es daran ging, nicht deutsche Mitschüler auszugrenzen. Zum anderen die Wiener Zeit ab 1907, in der Hitler zu einem Bewunderer des dortigen Bürgermeisters Karl Lueger wurde, der ihn als redegewandte Führergestalt sowie Integrationsfigur bis tief in die Arbeiterschaft hinein faszinierte. Und dessen Antisemitismus er aus nächster Nähe studierte.

Erst nach dem Weltkrieg Nazi

Bedeutet das aber, dass Hitler bereits vor 1914 zum überzeugten Antisemiten wurde? Brigitte Hamann hat dies in ihrer wegweisenden Studie über „Hitlers Wien“ (1996) ausdrücklich verneint. Für sie ist Hitlers aggressiver Antisemitismus das Resultat der Nachkriegszeit, was Thomas Weber in seinem Buch „Wie Adolf Hitler zum Nazi wurde“ (2016) bestätigt und vertieft. Leidinger und Rapp hingegen gelingt es nachzuweisen, dass es in Hitlers direktem Umfeld gleich zwei antisemitische Vereinigungen gab, von deren Existenz die Geschichtsforschung bislang nichts wusste. Eine Mitgliedschaft Hitlers in mindestens einer davon halten sie für wahrscheinlich. Den Nachweis bleiben sie allerdings in Ermangelung entsprechender Quellen schuldig. Weswegen ihre Untersuchung von Hitlers Jugendjahren die bestehende Forschung letztlich nicht zu revidieren, wohl aber zu ergänzen vermag, etwa wenn es um den Erfahrungsraum der frühen Linzer Jahre geht. Deutlich wird weiterhin, dass es das eine traumatische Ereignis in Hitlers Kindheit und Jugend wohl nicht gegeben hat.

Hannes Leidinger, Christian Rapp: Hitler. Prägende Jahre. Kindheit und Jugend 1889-1914. Residenz Verlag, Salzburg 2020. 254 S., 20 €.

Florian Keisinger

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