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Wendezeit: Der Drang nach Freiheit stürzte die Mauer

Die DDR brach zusammen, weil die Menschen Freiheit wollten, schreibt Ilko-Sascha Kowalczuk. Es ging nicht um Bananen. Es ging den Bewohnern der DDR nicht um Westautos oder Reisen nach Frankreich. 1989 ging es ihnen um Freiheit.

Das ist, kurz gesagt, die These, die der Historiker Ilko-Sascha Kowalczuk in seinem Buch „Endspiel“ vertritt. Es ist, wenn man so will, das Buch zur Revolution von 1989. „Endspiel“ ist das Buch zum 20. Jahrestag des Mauerfalls.

Die Gründe für den Untergang der Deutschen Demokratischen Republik sind unter dem larmoyanten Gerede über Ost-West-Unterschiede und -Gegensätze verschüttgegangen. Kowalczuk legt sie wieder frei. Ganz am Ende seiner Darstellung führt er die Motive der Systemgegner, Protestler und Widerständler in der DDR zu der These zusammen, dass sich im Winter 1989/90 durchaus eine Revolution ereignet hat – nicht bloß der Kollaps eines Greisenregiments, welches mit den Entwicklungen in Osteuropa und der Damals-Noch-Sowjetunion nicht Schritt zu halten fähig war und stattdessen lieber altersstarrsinnig unterging.

In dem Zusammenhang ist die Bananen-These wichtig. Sie besagt, dass es den Ostdeutschen um den Konsum gegangen sei und das SED-Regime über seine Unfähigkeit stürzte, schnell große Mengen von Südfrüchten und Westautos zu importieren. Otto Schily, ehemals Anwalt für RAF-Terroristen, Mitgründer der Grünen, dann Sozialdemokrat, später Bundesinnenminister, hat die Bananen- These verbreitet. Es war bei der Volkskammerwahl im März 1990. Damals gewann die CDU-geführte „Allianz für Deutschland“ die meisten Stimmen, und Sozialdemokrat Schily kommentierte das Wahlergebnis im Fernsehen, indem er eine Banane hochhielt. Schilys spöttischer Kommentar über die Ostdeutschen (und ihre mehrheitliche Wahlentscheidung für die CDU, die Einheit, die D-Mark) sei im Grunde sogar richtig, schreibt Kowalczuk – „aber nur wenn man zugleich betont, was sie nicht mehr haben wollten, nämlich das politische, ökonomische und gesellschaftliche System, das ihnen die ,Banane‘ nicht bieten konnte.“ Die Mehrheit der Leute wollte die ganze DDR nicht mehr.

So schnell kann das gehen. Am Anfang vom Ende der DDR steht für den Historiker Kowalczuk, der heute bei der Birthler-Behörde forscht, ein „Paradoxon“ – „die scheinbare Stabilität und Ruhe in der DDR bis 1989 und dann das hohe Tempo des Staats- und Systemzerfalls innerhalb weniger Wochen“. Kowalczuks Darstellung reicht von Erich Honecker über Egon Krenz bis zum ersten und letzten frei gewählten DDR-Regierungschef Lothar de Maizière.

In den späten 80er Jahren muss der Frust in der DDR ein verbreitetes Gefühl gewesen sein – Frust über den Unwillen des Politbüros, sich vom Reformer Michail Gorbatschow bewegen zu lassen, Frust über eine SED, die so sklerotisch war, dass nicht mal junge SED-Karrieristen Karriere machen konnten, Planwirtschaftsfrust und das stille Entsetzen angesichts einer Infrastruktur, die alt und verbraucht war. Kleines Beispiel? Kowalczuk zitiert aus dem Brief eines Rechtsmediziners an das Ministerium für Staatssicherheit. Der Mann beklagt, dass die provisorisch aufgestellten Kühlzellen nicht reichten, dass „die Leichen gestapelt auf doppelt belegten Tragen“ lägen. Rascher Madenbefall und Fäulnis seien die Folgen. „Unter der Geruchsbelästigung leiden alle Mitarbeiter, auch die, die mit der eigentlichen Leichenöffnung nichts zu tun haben.“

Manchenorts reichte es in der DDR nicht mal für einen würdevollen Umgang mit den Toten. So baute sich in vielen Teilen des Landes Groll auf das System auf. Kowalczuk breitet die „Bilder einer Gesellschaftskrise“ weit aus; auch Leute, die die DDR selbst erlebt haben, erfahren in diesen Passagen Interessantes aus einer Alltags- und Lebenswelt, die auf den zweiten Blick natürlich nicht bloß grau war, aber auch auf den dritten Blick offenbar unfähig zu großen Veränderungen.

Dabei arbeitete es in den Jahren 1987 und 1988 überall in der DDR-Gesellschaft. Da entstanden Gruppierungen wie die „AG Staatsbürgerschaftsrecht der DDR“, deren Mitgliedern es um Freizügigkeit ging. Da gründete sich die „Initiative Frieden und Menschrechte“, die die Demokratisierung der DDR voranbringen wollte. Es entstand die Umweltbibliothek in Ost-Berlin, es formierten sich, oft in den Räumen der Kirche, Gruppen von Bürgerrechtlern.

Im Rückblick, beim Lesen, mag man denken: Erosion überall, der Gehorsam gegenüber einem autoritären Staat schwindet, die Leute lassen sich immer weniger gefallen – die SED kapituliert. Das wäre naive West-Sicht auf ein repressives und nicht nur an seinen Grenzen brutales Regime. Kowalczuk erzählt eine Reihe von Widerstands- und Protestgeschichten aus der späten DDR – damals konnten die, die sich etwas trauten, froh sein, wenn sie nach einer Zeit im Gefängnis des Landes verwiesen wurden.

Dass die aus der DDR stammende Künstlerin Freya Klier und die Bürgerrechtlerin Vera Wollenberger (heute Lengsfeld) so rigoros in ihrer Gegnerschaft gegenüber den politischen Erben der SED sind, kann Kowalczuk erklären. Auch das gehört zu den Stärken seines Buches: dass er an vielen kleinen unprominenten Menschengeschichten zeigt, wie übel einem ein autoritäres Regime mitspielt, das weder parlamentarische noch gerichtliche Kontrolle zu fürchten hat. Demokratie und Gewaltenteilung sind eben nicht selbstverständlich.

Wie die schwachen Kräfte zusammenkamen und das scheinbar zementierte SED-Regime unterspülten – das hat noch zwanzig Jahre danach eine eindrucksvolle Kraft und Dynamik. Das ist die dritte Stärke dieses Buches: Kowalczuk beschreibt die Kräfte und ihr Wirken, die Leipziger Montagsdemonstranten, die Kirchenbesetzer und die Flüchtlinge in den deutschen Botschaften in Prag und Budapest so, dass man noch im Nachhinein ein Gefühl für den Mut der Leute bekommt, die es mit dem SED-System aufnahmen. Nur vom Ende her gesehen wirkt der Zusammenbruch der DDR systemlogisch. Dabei war die „chinesische Lösung für den Umgang mit den Demonstranten“ – Panzer machen Menschen nieder – lange im Bereich des Möglichen.

Kowalczuks Buch zeigt, wie viel Glück die Deutschen an diesem Punkt der Geschichte hatten. Kritisch merkt er an, dass es die „DDR-Revolution als Teil der deutschen und europäischen Erinnerungskultur“ bisher nur „in Sonntagsreden“ gebe. Das stimmt. Ein Grund dafür könnte darin liegen, das es so für die deutsche Politik viel bequemer ist.

– Ilko-Sascha Kowalczuk: Endspiel. Die Revolution von 1989 in der DDR. C. H. Beck, München 2009. 602 Seiten, 24,90 Euro.

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