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Literatur: Wien war mein Sibirien

Müde bin ich, geh zur Truh: Der Aktionskünstler Günter Brus blickt in „Schmähmoiren“ auf die Stadt seiner Leiden zurück

In den siebziger Jahren lebte er für einige Zeit in Berlin. Der Aktionskünstler Günter Brus war 1969 mit Frau und Kind aus Wien geflohen, weil man ihn nach einem besonders provokanten Auftritt zu fünf Monaten Gefängnis verurteilt hatte. In Berlin verkehrte er vor allem mit den Schriftstellern Oswald Wiener und Gerhard Rühm und gründete mit ihnen die nicht ganz ernst gemeinte „Österreichische Exilregierung“. Ihr Tagungslokal war Wieners Gaststätte „Exil“ am Paul-Lincke-Ufer in Kreuzberg. Hier entstand unter anderem der komisch-obszöne Bildroman „Irrwisch“, in welchem Brus sich und die postnazistischen Verhältnisse im Nachkriegsösterrreich entblößte. Aus der Zweigleisigkeit als Zeichner und Autor entwickelte er das für ihn typische Genre der „Bilddichtung“. Von dieser Zwittergattung hat er Hunderte von Serien geschaffen. Sie wurden mit großem Erfolg in vielen Museen gezeigt.

Dies zumindest sollte man über Günter Brus wissen, wenn man „Das gute alte Wien“ zur Hand nimmt. Es ist ein Stück autobiografische Literatur und schließt an Brus’ Kindheits- und Jugenderinnerungen „Die gute alte Zeit“ an. Aber Brus erweist sich keineswegs als Buchhalter seiner ruhm- und entbehrungsreichen Vergangenheit, sondern in erster Linie als einfallsreicher Erzähler. Das biedere Muster der Lebensgeschichte unterläuft er schon dadurch, dass er sich und seine mittlerweile ebenso berühmten Zeitgenossen erbarmungslos verkleinert. Er folgt dem Schema des Schelmenromans. Nie um ein Wortspiel verlegen, prägte Brus für seine Rückblicke den Begriff „Schmähmoiren“.

Ihr Sarkasmus zeigt sich schon im Titel, der natürlich ins Gegenteil verkehrt werden muss: Wien war sein Sibirien, der größte Härtetest seiner Künstlerlaufbahn. Der Aufenthalt in der so innig gehassten Stadt hatte aber auch sein Gutes, weil er ihn zwang, zum Äußersten zu gehen. „Es war in jener Zeit, als ich in Wien umherging, in dieser seltsamen Stadt, die keiner verlässt, ehe er von ihr gezeichnet ist.“ So beginnt das Buch, und in dieser Stillage aus Melancholie und Komik, Tiefsinn und Leichtsinn schreibt es sich fort. Von der sich anbahnenden Karriere erfährt der Leser wenig, dafür umso mehr vom Alltag und der Seelenlage des Erzählers, der an seiner Genialität keinen Zweifel hat und dem, trotz Antidepressiva und wegen Alkolhols, die ärgsten Abstürze passieren. Glücklicherweise trägt er immer ein Notizheft mit sich, um Gedichte und Aphorismen zu notieren.

Natürlich widmet er sich auch seinen Kombattanten des „Wiener Aktionismus“, Otto Mühl und Hermann Nitsch. Auch sie werden eher karikiert. „Wir waren auf Randale aus“, kommentiert Brus die Manifestationen „direkter Kunst“: Mühls „Körperversumpfungen“, Nitschs gekreuzigtes Kaninchen, seine eigenen Selbstverstümmelungen. Er berichtet aber auch von der „ungestümen Energie“, welche er aus dieser Bekanntschaft zog, von der „Kraft, sich von einem Nichts ansaugen zu lassen“.

Übrigens sind die „Leidensgenossen“ nicht ohne Weiteres zu erkennen. Brus versteckt sie hinter den Pseudonymen Otto Sperrmüll und Hermann Schlacht. Ebenso verfährt er mit anderen Zeitgenossen, denen er Decknamen der Extraklasse verpasst. Peter Kubelka ist Kublaikhan, Gerhard Rühm Rühmann, Attersee Flattersee, Hundertwasser Quellwasser. Hinter der Pianomarke „Bösendorfer“ verbirgt sich Thomas Bernhard. Brus bezeugt der Schmähkunst des „Holzfällers“ neidlos Beifall. Auf Bösendorfers Ehrengrab wünscht er sich den Spruch: „Müde bin ich, geh zur Ruh’, schimpfe weiter, immerzu.“ Für sich selbst wählte er die Version: „Müde bin ich, geh zur Truh’, schließe meinen Deckel zu.“

Günter Brus: Das gute alte Wien. Mit zwölf Zeichnungen des Autors. Jung und Jung Verlag, Salzburg 2007. 163 Seiten, 22 €.

Mechthild Rausch

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