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© ddp

William Boyd: Trakl trifft Wittgenstein

Neues vom Meisterfälscher: eine Erzählsammlung von William Boyd.

Ein halbes Jahr ist es jetzt her, dass der britische Schriftsteller William Boyd mit seinem im Spionage-Milieu angesiedelten Roman „Ruhelos“ auch in Deutschland einem größeren Publikum bekannt wurde. „Ruhelos“ hat zwar Schwächen und ist nicht Boyds bester Roman, doch waren die Bedingungen für den Booker-Preisträger Boyd, der seit Anfang der achtziger Jahre Romane und Erzählungen schreibt und in England zu den berühmteren seiner Zunft gehört, auf einmal günstig. Zum einen hatte er mit dem Vorgänger „Eines Menschen Herz“ ein paar Jahre vorher so manchen Kritiker begeistert, zum anderen sorgte ein Verlagswechsel in England (von Penguin Books zu Bloomsbury) für neuen Schwung in Boyds Deutschland-Sache.

Allein die Veröffentlichung im ansonsten veröffentlichungsarmen Januar war eine kluge strategische Entscheidung, und dazu passt nun, dass der zu Bloomsbury gehörende Berlin Verlag schon ein paar Monate nach dem Erfolg mit „Ruhelos“ ein weiteres Buch von Boyd veröffentlicht, den Erzählband „Das Schicksal der Nathalie X“, der in England schon 1995 erschien.

Da versucht also ein Verlag, Boyds plötzlich gute Position auf dem Markt zu stabilisieren oder zumindest das Eisen zu schmieden, solange es heiß ist. Was ganz in Ordnung ist, auch wenn diese Erzählungen nicht nur ihres Alters wegen den Charakter eines Zwischenwerks haben. Mitunter wirken sie wie lose Vorstudien zu größeren Arbeiten, und das weniger, weil hier auch der Schriftsteller und Jedermann Logan Mountstewart, der Held aus „Eines Menschen Herz“, seinen ersten Auftritt in einer Geschichte hat.

Vielmehr lassen die Erzählungen gut erkennen, dass Boyd gelernter Drehbuchschreiber ist – mit ihren schnell hingeworfenen Settings und ihren vielen, oft übertitelten kurzen Absätzen scheinen sie einer weiteren Umsetzung zu harren. Die Titelgeschichte beginnt mit einer Männerstimme aus dem Off, geht weiter mit einem sogenannnten Fade-in, das ganz klassisch mit einem „Es war einmal...“ anhebt, und wird dann bis zu ihrem „Abspann“ von wechselnden Personen wie vor einer Fernsehkamera erzählt.

Kein Zufall, dass diese Geschichte (die stärkste des Buchs) um einen vermeintlich genialischen afrikanischen Filmemacher und seine vermeintlich noch genialischere, weil so lebensnah-ungekünstelte Hauptdarstellerin im Filmbusiness in und um Hollywood angesiedelt ist. Schön satirisch umkreist sie den Irrsinn von L. A. und seiner Filmindustrie, immer wieder kulminierend in dem Satz „Ich habe eine Theorie über diese Stadt“, wobei natürlich jede Figur eine völlig andere, neue, der vorhergehenden widersprechende Theorie hat.

Auch eine eher unübliche Story ist „Lunch“. Hier spielt sich ein Beziehungsdrama bei diversen Essen ab, und Boyd schildert dieses Drama lediglich tabellarisch mittels Datum, Gästeliste, Speisen- und Getränkefolge, Rechung und Extras, inklusive einiger knapper Bemerkungen zu den Zusammenkünften.

„Lunch“ hat seinen Charme, mehr aber auch nicht. Überzeugender und zupackender ist Boyd mit ein paar Jugend- und Eifersuchtsgeschichten aus dem Nizza der siebziger Jahre – oder wenn er eine Ahung davon vermittelt, was für ein Meisterfälscher in ihm steckt und wie er reale wie fiktive Künstlerbiografien variabel zu mischen weiß. So in „Kork“, wo er aus dem bekannt schüchternen portugiesischen Dichter Ferdinand Pessoa einen mutigen Liebhaber macht, der sich aber seiner Geliebten gegenüber ganz Pessoamäßig immer wieder als ein anderer ausgibt und von ihr auch so behandelt werden will. Oder wie in „Verklärte Nacht“, wo er den Philosophen Ludwig Wittgenstein auf den expressionistischen Dichter Georg Trakl treffen lässt und mit echten biografischen Eckdaten das fiktive Porträt einer verlorenen, suizidgefährdeten Generation am Ende des 19. Jahrhunderts zeichnet.

Boyds elf Erzählungen haben etwas Spielerisches, Grundrisshaftes, sie sind vergnüglich-hintergründige Einübungen in verschiedene Genres, von der Hollywood-Satire über die Dichter-Novelle, den Entwicklungsroman und den Künstlersteckbrief bis hin zum Eifersuchtsdrama. Sie weisen, wie gesagt, vor allem auf die größeren Arbeiten von Boyd hin und machen Lust, diese zu lesen, ältere Boyd-Romane wie die ebenfalls auf Deutsch vorliegenden „Armadillo“ oder „Brazzaville Beach“. Und das freut dann wieder die Verlage, die jahrelang vergeblich versucht haben, Boyd auf dem deutschen Markt durchzusetzen.

William Boyd: Das Schicksal der Nathalie X. Erzählungen. Aus dem Englischen von Chris Hirte. Berlin Verlag, Berlin 2007, 190 Seiten, 18 €

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