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Zeitschriften: Blutzoll und Hibiskusblüte

Gregor Dotzauer hört sich um – nach Stimmen aus Afrika.

Von Gregor Dotzauer

Die Pflicht vorneweg. Über Afrika schreiben, heißt nämlich, ein paar einfache Regeln befolgen. Man muss Afrika zum Beispiel „als ein einziges großes Land behandeln. Es ist heiß und staubig, und durch weite Grassavannen ziehen gewaltige Wildherden und lange, dürre, ausgemergelte Menschen. Oder es ist heiß und feucht und voll kleinwüchsiger Menschen, die Primaten essen.“ Weiterhin empfiehlt es sich, Details großzügig zu ignorieren, denn Afrika ist viel zu unübersichtlich, als dass es sich in einem übersichtlichen Text darstellen ließe: „54 Länder, 900 Millionen Menschen, und die sind mit Hungern und Sterben und Kriegführen und Migrieren“ beschäftigt. „Also halten Sie alles möglichst unbestimmt und evokativ.“ Unverzichtbar allerdings „ein Nachtclub mit dem Namen Tropicana als Treffpunkt von Söldnern, üblichen afrikanischen Neureichen, Prostituierten, Rebellen und Westlern.“ Was hiermit auch erledigt wäre.

Binyavanga Wainainas Anleitung zum stereotypen Schreiben über den „dunklen“ Kontinent, die das Afrikaheft der „Neuen Rundschau“ (2/2009, 240 S., 12 €) eröffnet, wagt noch weitaus grimmigere Töne. Man sollte aus ihrer Bitterkeit nur nicht schließen, dass jede Äußerung afrikanischer Autoren automatisch über alle Wahrnehmungsroutinen und sprachlichen Fertigteile erhaben wäre.

Wenn es aber eines Beweises bedürfte, wie weit eine teils erst in den Siebzigern geborene Generation von Schriftstellern es gebracht hat, sich in internationale Zusammenhänge hineinzuschreiben, dann ist Markus Kessels Auswahl von 14 Autoren überzeugend – und Wainaina, wie die Erzählung „Die Entdeckung der Heimat“ zeigt, der beste Botschafter seiner eigenen Mission: 1971 in Kenia geboren, lebt er nach einem Wirtschaftsstudium in Südafrika heute in New York.

In den USA könnte man auch seine sechs Jahre jüngere nigerianische Freundin Chimamanda Ngozi Adichie treffen, die mit ihren Romanen „Blauer Hibiskus“ und „Die Hälfte der Sonne" (beide S. Fischer) über den Biafra-Krieg die charismatischste weibliche Stimme ihrer Generation ist – auch im wörtlichen Sinn. Man muss erleben (youtube.com), mit welchem Glühen sie in Harvard über ihre Arbeit berichtet. Dann erschließen sich die Eigenheiten ihrer mit Igbo-Einsprengseln durchsetzten Sprache gleich besser. „Es ist kein britisches Englisch“, sagt sie im „Rundschau“-Interview. „Ich war neulich in Nigeria mit einem Freund unterwegs, einem Engländer, wir haben uns mit noch ein paar anderen Freunden getroffen, und irgendwann gab es Streit. Alle waren wir in dieses sehr nigerianische Idiom verfallen. Bis mein Freund fragte: ,Worum geht’s denn?’, und ich meinte: ,Aber wir sprechen doch Englisch!’ Worauf er feststellte: ,Ich versteh kein Wort.’ Da dachte ich: Aha, du verstehst nicht. Ich habe mich diebisch gefreut.“

Von simpler Anpassung an westliche Standards kann da keine Rede sein, wohl aber von einem Selbstbewusstsein, das sich an Adichies berühmtem Landsmann Chinua Achebe orientiert, der mit der Erzählung „Mädchen im Krieg“ vertreten ist, wie an Philip Roth und Jamaica Kincaid. Die Erfahrung eines hybriden Lebens zwischen den Kontinenten haben schon Achebe oder Wole Soyinka gemacht – sie als Gewinn zu betrachten, ist wohl das Privileg der Enkel.

„Was es heißt, Bürger zu sein in Afrika“, wie Charlotte Wiedemann in „Afrika. Stolz & Vorurteile“, dem Editionsheft der „Monde Diplomatique“ erklärt (5/2009, 112 S., 8,50 €), wird davon nicht notwendig berührt. Die Konflikte vom Sudan bis nach Südafrika schaukeln sich auf, der Neokolonialismus feiert fröhliche Urstände, und mit China ist sogar ein neuer Großakteur aufgetreten. Nicola Liebert erläutert, wie Ramschware aller Art nach Simbabwe kommt: „Zhing-zhong für Afrika“. Der Entwicklungssoziologe Dieter Neubert zerreißt die neoliberalen Forderungen des Kenianers James Shikwati nach einem sofortigen Stopp von Entwicklungshilfe in der Luft und weist zugleich auf die Erschöpfung des gesamten Systems hin. Hochaktuell Doris Lessings sechs Jahre alter Essay über Robert Mugabe und die Tragödie Simbabwes. „Auch ein Paradies braucht ein festes Gerüst“, schreibt sie. Im Moment ist weder vom Paradies noch vom Gerüst viel zu sehen.

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