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„Trump von Brasilien“: Der brasilianische Präsidentschaftskandidat Jair Bolsonaro.

© REUTERS/Ricardo Moraes

Literaturkolumne "Flugschriften": Auf der Suche nach frohen Botschaften

Gegen Kulturpessimismus und populistische Angstproduktion: Walter Wüllenweber und Steven Pinker plädieren in ihren Büchern für mehr positive Nachrichten.

Von Caroline Fetscher

Aller Voraussicht nach wird Ende Oktober ein Mann namens Jair Bolsonaro das riesige Land Brasilien regieren. Die Weltöffentlichkeit wird sich an den Namen eines neuen Megapopulisten gewöhnen müssen, einen „Trump von Brasilien“, wie er in der US-Presse apostrophiert wurde, der antreten will gegen die „kommunistischen“ Vereinten Nationen, gegen Homosexuelle, für privaten Waffenbesitz und allerhand anderes aus dem Katalog des Populismus. Aus seiner Glorifizierung der Epoche der Militärdiktaturen Lateinamerikas macht er zudem kein Geheimnis.

Militärs, Großgrundbesitzer, Aktionäre, Teile des Justizapparats und der Boulevardmedien jubeln ihm denn auch ebenso zu wie evangelikale Kleriker. Bolsonaros Erfolg ist ein weiteres Symptom dafür, wie anfällig Zeitgenossen für Parolen aus der Unterwelt der Unken sind, für eine Politik, die Nacht beschwört, um Tageslicht zu versprechen: Alles liegt im Argen, aber jetzt komme ich!

Walter Wüllenweber, Journalist und Politikwissenschaftler, sieht in solchen Dynamiken „das Geschäftsmodell der Angst“ am Werk und setzt ihm eine „Frohe Botschaft“ entgegen (Frohe Botschaft. Es steht nicht gut um die Menschheit – aber besser als jemals zuvor. DVA, München 2018; 224 Seiten, 18 €). Mehr Menschen haben heute Zugang zu Bildung und medizinischer Versorgung als je zuvor in der Geschichte der Menschheit, die Lebenserwartung ist höher, die Anzahl der Demokratien wächst. Der deutsche Sozialstaat ist einer der vorbildlichsten, der Atomausstieg ist hierzulande beschlossene Sache, das Umweltbewusstsein größer denn je. Seit im Jahr 2000 Gewalt in der Erziehung gesetzlich untersagt wurde, sinkt die Jugendkriminalität in Deutschland von Jahr zu Jahr, Gewalt gegen Minderjährige kommt noch vor, ist aber geächtet und wird bekämpft.

Mit Empörungslust wird das Angstgeschäft angekurbelt

Ellenlang ist die Liste der Verbesserungen, Reformen, Fortschritte, die Voltaires bitteren Sarkasmus vom Leben „in der besten aller Welten“ zur positiven Aussage verkehrt. Jedoch, seufzt Wüllenweber: „Im Wettbewerb der Weltsichten haben es die frohen Botschaften schwer, sich gegen die Macht der professionellen Apokalyptiker durchzusetzen.“ Mit Empörungslust und Untergangsschwung wird das Angstgeschäft angekurbelt. Denn der Modus des Warnens – Achtung, Gewitter, Räuber, Klippe, Feuer! – hat gattungshistorisch einen sozialen Sinn, den unter anderem soziale Medien, populistisch genutzt, pervertieren.

Von den 450 meistgeklickten „Meldungen“ über Sexualstraftaten von Flüchtlingen, das ergab etwa eine Recherche des „Spiegel“, hatten nur 26 Substanz. Die Mordrate im Osten Deutschlands hatte tatsächlich eine Zeit lang zugenommen, zitiert Wüllenweber Polizeistatistiken – und zwar durch Ostdeutsche, in den Jahren unmittelbar nach der Wende, während der harten Transformation.

Beide Optimismusfahnder haben ihre Grenzen

Wie der Harvard-Psychologe Steven Pinker in seinem Plädoyer für die Moderne, dem Manifest, das er „Aufklärung jetzt“ nennt, wehrt sich Wüllenweber gegen xenophobe Schwarzmalerei wie gegen Faschismuspanik und Öko-Apokalyptik. (Steven Pinker: Aufklärung jetzt. Für Vernunft, Wissenschaft, Humanismus und Fortschritt. Aus dem Englischen von Martina Wiese; S. Fischer, Frankfurt a. M. 2018; 736 S., 26 €). Pinker räumt dabei unter anderem mit der Vorstellung auf, Menschen könnten durch technische Errungenschaften zu „Sklaven“ der Computer werden.

Beide Optimismusfahnder haben ihre Grenzen. Als Hyperpragmatiker versteht Pinker wenig von Geisteswissenschaften, als Atheist lässt er von Religiosität nichts übrig. Die Bedrohung durch Klimawandel, muss auch er einräumen, setzt dann aber unverdrossen auf Atomenergie. Wüllenwebers leicht lesbarem Werk hätten Fußnoten und mehr Quellennachweise gutgetan. Erfrischend gegen Kulturpessimismus und populistische Angstproduktion wirken die beiden Bücher aber allemal – und weder der Amerikaner noch der Deutsche propagieren kritiklose Ignoranz gegenüber Ungerechtigkeiten oder Umweltschäden. Lesen lassen sich ihre Ideen als Anregung, die Gegenwart in größerem Rahmen zu sehen.

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