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Darf in keiner Aphorismen-Sammlung fehlen: Goethe. Hier zu sehen im Frankfurter Städel-Museum, in Form des Gemäldes "Goethe in der Campagna" (1787) von Johann Heinrich Wilhelm Tischbein.

© picture-alliance/ dpa, Jörg Schmitt

Literaturkolumne "Fundstücke": Pastete und Gans

Einfach mal blättern. Aphorismen-Sammlungen zählen „nur“ zur Unterhaltungsliteratur, dabei enthalten sie viel Geistvolles.

Tatsächlich eine Trouvaille. Vor Jahren war ich in München vom dortigen Literaturhaus zu einer Lesung eingeladen und wurde in einem hübschen kleinen Hotel im Stadtteil Lehel untergebracht, nahe dem Isartorplatz, an dem sich auch das Karl-Valentin-Musäum (mit „ä“) befindet, welches gewöhnlich von 11 Uhr 01 bis 17 Uhr 29 geöffnet ist. Ja, und in dem Hotel fand ich statt Gummibärchen oder einem Schokoladeherz ein kleines grünes Buch auf dem Kopfkissen. Die Hotelmanagerin hatte darin vermerkt: „Behalten Sie dieses Buch und unser Hotel in guter Erinnerung!“

Mir ist diese Gabe vor einigen Tagen zufällig wieder in die Hände geraten, und wirklich passt das grüne Bändchen in diese Jahreszeit. Etwas Leichtes für jede Urlaubstasche. Auf dem Umschlag steht „Menschen, Bücher, Sensationen. Aphorismen für Leser“, es ist herausgegeben von Roger Shatulin (Manesse Verlag, Zürich 2005, 96 Seiten). Antiquarisch kostet es mittlerweile zwischen drei und sechs Euro.

Von Erasmus bis Tucholsky

Nun gibt es viele Aphorismen-Sammlungen, von Montaigne über Oscar Wilde bis Robert Gernhardt. Und natürlich gehören derlei Anthologien, so geistvoll sie im Einzelnen sein mögen, am Rande der Varia et Curiosa nur zur Unterhaltungsliteratur. Aber was heißt hier: nur!?

Man blättert einfach gerne darin. Der Herausgeber Roger Shatulin verweist im kurzen Nachwort auf den enormen Zitaten-Fundus, von Erasmus von Rotterdam bis zu Tucholsky, von Lessing bis Lec (Stanislaw Jerzy). Und er zitiert Goethes Formulierung, Literatur zu lesen, bedeute „sich über sich hinauszumuten“. Von unzähligen Definitionsversuchen, was Dichtung sei und bewirken möge, gewiss nicht die schlechteste.

Der Spötter Karl Kraus darf nicht fehlen

Also geraten wir in die Rubrik „Lob und Tadel“ und lesen von Nietzsche: „Die Menschen drängen sich zum Lichte, nicht um besser zu sehen, sondern um besser zu glänzen. – Vor wem man glänzt, den lässt man gerne als Licht gelten“. Vladimir Nabokov hat beschlossen, „jede Art von Publicity zu begrüßen“, da er es leid sei, „meine Bücher in Stillschweigen gehüllt zu sehen wie Edelsteine in Watte“. Und ein „anonymer brasilianischer Rezensent“ wird mit dem Urteil zitiert: „Ich habe das Buch nicht gelesen, und es hat mir nicht gefallen.“

Klar, dass in allen neun Kapiteln der Spötter Karl Kraus nicht fehlen darf: „Warum schreibt mancher? Weil er nicht genug Charakter hat, nicht zu schreiben.“ Sehr schön zur Begabungsfrage Marie von Ebner-Eschenbach: „Den Strich, den das Genie in einem Zuge hinwirft, kann das Talent in glücklichen Stunden aus Punkten zusammensetzen.“ Oder Jean Paul: „Kein Dichter sollte mit Dichtern umgehen, sondern mit anderen Leuten, und diese sollten wieder mit Dichtern umgehen, jeder zu seiner Heilung.“ Von Elias Canetti: „Er möchte selbstlos sein, ohne sein Werk zu verleugnen. Quadratur des Dichters.“

Montesquieu räsoniert, als sei er schon in der Zukunft

Nicht von Karl Kraus, vielmehr von seinem Wiener Landsmann Arthur Schnitzler stammt die Sottise: „Der Feuilletonist ist ein Mann der Nebenabsichten ... Die Vielfalt der Welt erfüllt ihn nicht mit Andacht, sie ist ihm Vorwand, nicht Zweck.“ Und Montesquieu räsoniert, als sei er schon in der Zukunft: „Was ist das bloß für ein Jahrhundert, in dem es so viele Kritiker und so wenig Leser gibt.“ Und eine Weisheit des großen ungarischen Autors Sándor Márai: „... man muss so schreiben wie einer, der nicht weiß, was der nächste Satz bringt. (Auch leben muss man so; beides ist dasselbe.)“

Nicht gefunden habe ich übrigens einen Ausspruch, siehe oben, von Karl Valentin. Und wenn es mal eine wünschenswerte Neuauflage geben sollte, dann würde ich noch zwei Weisheiten empfehlen. So hat Mark Twain einmal verwundert gesagt: „Warum machen sich Autoren nur diese Mühe, einen Roman zu schreiben, wo man doch an jeder Ecke schon einen für einen Dollar kaufen kann?“ Und in Anbetracht der gerade aktuellen Vermischung von Buchrezension und Autor-Personalitystory noch etwas von André Gide: „Einen Schriftsteller seiner Werke wegen lieben und ihn dann persönlich kennenlernen, ist manchmal so, wie Gänseleberpastete lieben und hinterher die Gans kennenzulernen.“

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