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Literaturkritik: Vollkommener geht es nicht

In der zamonischen Stadt Buchhaim leben die fantastischsten Bibliophilen und hier boomt die papierverarbeitende Industrie: Walter Moers setzt mit „Das Labyrinth der Träumenden Bücher“ seine Liebeserklärung an das gedruckte Buch fort.

Der Zeichner und Autor Walter Moers könnte das Buch retten. Und vielleicht gar den „Content“, der notfalls aber auch auf dem Smartphone-Display gelesen werden kann. Sein neuer Roman „Das Labyrinth der Träumenden Bücher“, die Fortsetzung von „Die Stadt der Träumenden Bücher“, spielt wie der Vorgänger in der zamonischen Stadt Buchhaim, dem Paradies jedes Lesers. Hier leben die fanatischsten Bibliophilen, hier boomt die papierverarbeitende Industrie, hier kocht der Buchmarkt über vor Ideen.

Das Buch steht in Buchhaim also hoch im Kurs: Nach einem verheerenden Brand bauten die Bewohner die Stadt aus „versteinerten Büchern“ wieder auf, einem Material, das in der fantastischen Welt entsteht, wenn Lava in Labyrinthen aus Büchern erkaltet. Riesige Buchskulpturen stehen überall herum, und zum Schutz vor neuen Bränden errichten die Buchhaimer ihre Bibliotheken nun auf Stelzen. „Bücherjäger“ sind in dieser Stadt immer auf der Suche nach den kostbarsten Wertgegenständen: natürlich antiquarische Bücher. Und es geht das Gerücht, dass vergiftete Bücher die größte Gefahr jedes Lesers darstellen. Auch die Zeitungen haben sich ihre Nische gesucht. Sie „leben“, tauschen sich aus, laufen durch die Straßen und klären gegen einen kleinen Obolus die Wissbegierigen beim Vorbeilaufen über die Geschehnisse auf. Die großen Literaten heißen Ohjann Golgo van Fontheweg, Perla La Gadeon, Orca de Wils und T. T. Kreischwurst. Wer möchte, kann in diesen Anagrammen Johann Wolfgang von Goethe, Edgar Allan Poe, Oscar Wilde und Kurt Schwitters erkennen.

Moers, Erfinder so unterschiedlicher Figuren wie Das Kleine Arschloch, Käpt’n Blaubär und Fönig, rettet nebenher auch eine durch zunehmende Langweile der Zuhörer bedrohte Veranstaltungsart: die Lesung. Und das, ohne jemals den Begriff „Event“ zu verwenden. Auch in Zamonien kränkelte die Papier verarbeitende Industrie ein wenig, doch konnte diese Krise überwunden werden. Man fand eine neue Ausdrucksform für literarische Stoffe: das Puppenspiel in künstlerischer Perfektion und in jeder denkbaren Form. Moers erläutert ausführlich die Wissenschaft des „Puppetismus“. 80 Seiten widmet er allein der Beschreibung einer Puppenspiel-Oper über die Erlebnisse der Hauptfigur Hildegunst von Mythenmetz. Ein interessanter Kunstgriff, um die Handlung des 2004 erschienenen Vorgängerbandes dem Leser zu vergegenwärtigen. Zamonien lieferte Moers erstmals in „Die 13 ½ Leben des Käpt’n Blaubär“ den Hintergrund für einen Abenteuerroman. Der Blaubär hatte wenig mit dem Kapitän des Seemannsgarns gemein, er schaffte vielmehr den Spielraum für Übertreibungen. Mittlerweile sind sechs Zamonien-Bände mit stets wechselnden Protagonisten erschienen, die sich über eine halbe Million Mal verkauften. Auch der neue Band steht ganz vorn in den Bestsellerlisten. Dass Walter Moers nie öffentlich in Erscheinung tritt, scheint den Fans gleich zu sein.

Zu Beginn ist der geschuppte Dinosaurier Hildegunst von Mythenmetz träge geworden. Er verschanzt sich auf der Lindwurmfeste und sonnt sich in seinem Ruhm als erfolgreichster Schriftsteller Zamoniens, bis er eines Tages fast an einem Sahnehörnchen erstickt und einen Brief erhält, der ihn nach Buchhaim lockt. Die Handlung bricht allerdings im spannendsten Moment abrupt ab – ein überflüssiger Cliffhanger. Denn wer einmal im detailgenau beschriebenen Buchhaim war, wird immer wieder gern zurückkehren wollen. Immerhin ist dies eine Welt, in der ein Buchhändler als „lachhafter Irrläufer“ bezeichnet wird, der Bücher in Pyramiden-, Ziehharmonika- und Wurstform verkauft: „Die klassische Form des Buchs ist dem Untergang geweiht“, prophezeit das „Opfer einer schwachsinnigen Geschäftsidee“ und löst nur Mitleid aus: „Es war, als würde er das Rad in viereckiger Form anbieten. Warum etwas Vollkommenes neu erfinden?“

Moers, vielleicht ein noch besserer Zeichner als Autor, verliert die Handlung ständig aus den Augen, um sich lustvoll in Details zu verlieren. Kleinteilige Illustrationen, manchmal über mehrere Seiten, der liebevolle Satz mit unterschiedlichen Schrifttypen sowie das Großformat tragen zur opulenten Ausstattung bei. Ein weiterer Hoffnungsschimmer: Der dritte Band der Buchhaim-Trilogie und eine Comicversion des ersten sind in Arbeit.

Walter Moers: Das Labyrinth der Träumenden Bücher. Roman. Piper Verlag, München 2011. 432 S., 24, 99 €.

Lina Kokaly

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