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Literaturkritik: Vom Schweinehund erlöst

Trieb und Gier, Liebe und Hiebe: Louis Begley beschließt mit "Schmidts Einsicht" seine Romantrilogie über den Anwalt Albert Schmidt und entwirft dabei ein großes Gesellschaftspanorama der US-amerikanischen Gegenwart.

Schmidtie (für seine Freunde), Schmidt (für die Geschäftswelt), Albert (für alle, die ihn nicht ausstehen können) erwacht am Silvestermorgen 2008. Und über seinen Gefühlszustand lässt sein Schöpfer Louis Begley von der ersten Seite an keine Zweifel: „Noch sechzehn Stunden, dann war wieder ein beschissenes Jahr vorbei, beschissen wie das ganze letzte Jahrzehnt.“ Das bedarf einer näheren Ausführung, und genau das geschieht dann auf den folgenden rund 400 Seiten. Es steht zu befürchten, dass Louis Begley, 1933 in Polen geboren, viele Jahrzehnte als Anwalt in New York tätig gewesen und erst spät zum Schriftsteller geworden, mit seinem dritten Roman über den Anwalt Albert Schmidt ein nicht unbedeutendes Kapitel seines Werkes abgeschlossen hat.

Bedauerlich darum, weil man von diesem Mann, so wie Begley ihn erzählt, von diesem mit allen Wassern gewaschenen, in Familienfriktionen tief verstrickten und mit einer unterbewussten Abneigung gegen das Judentum ausgestatteten Menschen nicht genug bekommen hat, wenn man erst einmal in sein Universum eingetreten ist. Das ist umso erstaunlicher, als dass Begley eine im Grunde genommen ferne Welt vorführt – die der gut und bestens betuchten Ostküstenelite, die sich im Lauf der erzählten Zeit zu einer noch besser betuchten und mittlerweile pensionierten Ostküstenelite weiterentwickelt hat.

Einen kurzen Anlauf braucht der Roman, der im englischen Original erst im kommenden Jahr erscheinen wird, um die Erzählfäden des Vorgängers „Schmidts Bewährung“ aufzunehmen. An dessen Ende stand der verwitwete Schmidt im Jahr 1995 in Paris vor dem Haus von Alice Verplanck, der Witwe eines Kollegen, und überlegte sich, ob er die Klingel drücken sollte. Der neue Roman rollt auf, was in den folgenden 13 Jahren geschehen ist. Zusammenfassend lässt sich sagen: Seitdem haben sich eine Reihe kleiner Missgeschicke und mindestens eine große Lebenskatastrophe zugetragen, und Begley kreist um all das in einer eleganten, teilnehmenden und doch stets reflektierten Sprache, die den Effekt hat, dass sie in ihrer ungerührten Distanz das Tragische noch monströser erscheinen lässt. Schmidt ist einer, der viel verloren hat: seine Frau an den Krebs, seine Tochter Charlotte an den in seinen Augen zwielichtigen Rechtsanwalt John Ryker und dessen raffgierige Familie (die Gespräche zwischen Schmidt und Johns Psychotherapeuten-Mutter gehören auch hier wieder zu den Höhepunkten); seine junge Geliebte Carrie an einen jüngeren Mann.

All diese Motive führt „Schmidts Einsicht“ jetzt fort, in einer tiefschwarzen und zugespitzten Weise. Man darf sich von der vermeintlich konventionellen Erzählweise Begleys ebenso wenig einlullen lassen wie von dem Ambiente, in das er sein Personal hineinsetzt; ein Metier, in dem alle Geld haben, was lange nicht bedeutet, dass es keine Rolle spielt. Welchen Weg Begley auch immer für jede einzelne seiner Figuren einschlägt – es ist nicht derjenige, den man erwartet.

Die Vorzeigeehe zwischen Alice und Tim Verplanck? Ein jämmerliches Schauspiel mit erschreckendem Ende. Die sich anbahnende Romanze zwischen dem alternden Schmidt und der noch immer hinreißend schönen Alice? Ein Trugbild, bestenfalls ein Missverständnis. Gar nicht zu reden von dem, was sich aus der mehrfachen Versöhnung zwischen ihm und Charlotte entwickelt. Die detaillierte Schilderung des saturierten Upperclass-Daseins inklusive Menüfolgen und Dutzender Flaschen hochwertiger Bordeaux- und Burgunderweine ist die erforderliche Oberfläche, unter der Begley mit gnadenloser Schärfe agiert. Das macht die Schmidt-Trilogie einerseits zu einem Gesellschaftsbild der amerikanischen Gegenwart, in dem Privates mit politischen Ereignissen eng geführt wird (Hohn und Spott für Clinton, Wut auf George W. Bush junior). Selbst die Anschläge des 11. 9. geraten Begley als Resonanzboden der Einsamkeit und Trauer seines Helden nicht zum kitschigen Symbol.

Bemerkenswerter und brillant ist allerdings, wie Begley die Selbstreduzierung seiner Charaktere auf zwei wesentliche menschliche Grundeigenschaften betreibt: Trieb und Gier. Was diese distinguierten Herren und ihre schönen, klugen Frauen an Intrigen, Verstellung, Fremdvögelei und Heuchelei an den Tag legen, und das mit größter Selbstverständlichkeit, ist schon wieder eine Kunst für sich. Die transatlantische Liebesgeschichte zwischen Alice und Schmidt, als romantische Altersliebe angelegt, erweist sich vor diesem Hintergrund beinahe schon als diabolisches Werk der Selbstzerstörung.

Und doch – etwas ist anders mit diesem Schmidt im dritten Roman, der als Verwalter der Kulturstiftung eines ägyptischen Milliardärs ein feudales Rentnerdasein pflegt: Er hat gelernt, sich selbst zurückzunehmen. Ist das schon Altersmilde? 78 Jahre alt ist er am Anfang des Romans, der fast das Ende ist, und manchmal hat er das Gefühl, kein Schweinehund mehr zu sein. Ob das schon eine Erlösung ist? Sie wäre Schmidt zu wünschen.

Louis Begley: Schmidts Einsicht. Roman. Übersetzt von Christa Krüger.Suhrkamp Verlag, Berlin 2011.415 S., 22, 90 €.

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