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Das Großherzogliche Palais (Palais Grand-Ducal) in Luxemburg.

© dpa/Ronald Wittek

Literaturland auf der Buchmesse: Luxemburg - Europas dreisprachige Herzkammer

Die Buchhändler Luxemburgs neigen eher zur Schüchternheit, wenn es um die Literatur des Landes geht. Dabei gibt es genug Grund für Stolz.

Viandens Schieferdächer glänzen im Sonnenlicht, die frische Bergluft kündet von den nahen Ardennen. In der Ortsmitte, direkt am Ufer des luxemburgisch-deutschen Grenzflusses Our, präsentiert sich in strahlendem Weiß das „Hôtel Victor Hugo“. Im Sommer 1871, als es noch anders hieß, hatte Victor Hugo dort seine Familie sowie seine mitgereiste Geliebte untergebracht, die Schauspielerin Juliette Drouet, die ihn über die Jahrzehnte mit insgesamt 18.000 Briefen bedachte.

Der damals 69-jährige Romancier selbst nahm auf der anderen Straßenseite bei einem Schneider Quartier, um ungestört schreiben und Motive der Gegend zeichnen zu können. Als Sympathisant der Pariser Kommune war Hugo samt Entourage aus Frankreich und Belgien ausgewiesen worden, was seinen Niederschlag in dem Buch „Une année terrible“ (Ein schreckliches Jahr) fand.

Das von einer malerischen Burgruine gekrönte Vianden kannte der republikanische Kritiker Napoleons des III. von mehreren Ferienaufenthalten. 1867 hatte Napoleon versucht, das damals zu den Niederlanden gehörende Luxemburg zu kaufen und damit zu romanisieren. Das stieß auf erheblichen Protest im Deutschen Bund und führte zur sogenannten Luxemburgkrise. Seitdem gilt die Zeile „Mir wëlle bleiwe wat mir sin“ des Nationaldichters Michel Lentz als inoffizieller Wahlspruch.

Die 1935, zu Hugos 50. Todestag, eröffnete „Maison de Victor Hugo“ ist das älteste Literaturmuseum Luxemburgs. Hugos inspirierendes Exil im Herzen Europas lässt sich hier detailgetreu studieren, darunter die Vision einer gemeinsamen kontinentalen Währung, „die als Grundlage das gesamte europäische Kapital hat und als Motor die freie Aktivität von 200 Millionen Menschen“.

Das lichtdurchflutete Dachzimmer lädt zum Studium der französischen, deutschen und englischen Primär- und Sekundärtexte ein. Es fehlt das Lëtzebuergische, seit 1984 neben Deutsch und Französisch als Nationalsprache des Großherzogtums anerkannt.

Keine Fähigkeit zur Abstraktion

Doch sonst wird das Derivat des Moselfränkischen mit französischen Einsprengseln, das für Unkundige ein wenig nach Schweizerdeutsch klingt, nach Kräften gepflegt und gefördert – insbesondere als Literatursprache und bei Kinderbüchern. Kritiker behaupten allerdings, es handle sich bei der Schriftform mit standardisierter Orthographie um eine eher künstliche, politisch gewollte Sprache, ähnlich wie das Rätoromanische in der Schweiz.

Elise Schmit, Jahrgang 1982, schreibt auf Deutsch, denn ihr Heimatidiom besitze „keine Fähigkeit zur Abstraktion“, wie sie sagt. Ihr Debüt, der fein gearbeitete novellistische Erzählungsband „Stürze aus unterschiedlichen Fallhöhen“, hat ihr mit dem Prix Servais bereits den wichtigsten nationalen Literaturpreis eingetragen, außerdem ein Aufenthaltsstipendium im Literarischen Colloquium Berlin.

Erschienen ist das Buch bei Hydre Éditions. Deren Chef Ian de Toffoli, selbst Autor, hat ein Auge auf den belletristischen Nachwuchs und ist in Personalunion Präsident des luxemburgischen Verlegerverbandes mit derzeit 22 Mitgliedern. Sie alle publizieren ganz selbstverständlich trilingual, wobei mit der Black Fountain Press ein rein englischsprachiger Verlag dazugekommen ist, der sich besonders an die Zugezogenen wendet.

Arbeit am Kulturgut

Obwohl mehr Stolz auf die Mehrsprachigkeit angebracht wäre, findet sich in den Buchhandlungen der Luxemburger Tisch meist versteckt hinter den Auslagen mit französischen und deutschen Novitäten. Jährlich erscheinen etwa 35 Belletristik-Titel, zehn bis zwölf Sachbücher und bis zu 25 Kinderbücher.

Was die Gemengelage seiner Heimat angeht, kommt Claude D. Conter die Rolle eines wandelnden Lexikons zu. Nicht von ungefähr haben der Direktor des Luxemburgischen Literaturarchivs, der unter anderem an der FU Berlin studiert hat, und seine Vorgängerin Germaine Groetzinger maßgeblich das Luxemburger Autorenlexikon entwickelt.

Die Einrichtung in Mersch wurde 1995 nach dem Vorbild des Marbacher Archivs gegründet. Sie organisiert Ausstellungen und bewahrt Schätze wie den ausgedehnten Briefwechsel der heute 91-jährigen Alise Koltz auf, die 1962 mit ihrem Mann die Mondorfer Dichtertage ins Leben rief, zu denen Gäste wie Christine Lavant, Hermann Hesse und Peter Handke anreisten.

Mit dieser Initiative für den deutsch-französischen Austausch nahm Koltz die Idee der Treffen von Colpach auf, bei denen das Industriellenpaar Mayrisch in der Zwischenkriegszeit unter anderem André Gide zu Gast hatte. „Die deutsch-französische Freundschaft ist überlebenswichtig für uns“, betont auch Olivier Frank, Direktor des Kulturinstituts Pierre Werner.

Wo sich die Literaten treffen

Beim Rundgang durch Luxemburg-Stadt, wegen seiner Felsenkulisse als Gibraltar des Nordens gepriesen, erzählt Claude Conter, dass 1855 die Aufführung von Edmond de la Fontaines mundartlichem Schwank „Scholdschäin“ in der damals preußischen Garnisonsstadt für Furore sorgte. Auch der intrigante Dr. Mabuse ist ein Luxemburger, erfunden von Norbert Jacques.

Im Großfürstentum mit seinen gut 600.000 Einwohnern sind die Wege kurz. So stand Grandduc Henri dem Dichter Lambert Schlechter persönlich bei, als dessen wertvolle Bibliothek einem Brand zum Opfer fiel. Schlechter gilt neben dem 2013 verstorbenen Jean Krier und Anise Koltz als einer der bedeutendsten Dichter des Landes und pflegt einen hintersinnigen Pessimismus: „Schreiben bedeutet, den Tintenspiegel im Fass zu senken.“

Die Kulturszene trifft sich im Café Littéraire „Le Bovary“, das dessen Besitzerin Lili Fouet wie ein bibliophiles Wohnzimmer eingerichtet hat, oder in einem ehemaligen Gasthof an der Place du Parc. Guy Binsfeld konnte das Originalmobiliar retten und nutzt den grau getönten Saal nun als Besprechungsraum für seine gleichnamige Edition. Sie gehört zu den neun Verlagen, die mit je einer Leseinsel am Luxemburger Gemeinschaftsstand auf der Buchmesse vertreten sind: eine Initiative des Programms „Reading Luxembourg“, das federführend vom Kulturministerium organisiert wird.

Auf der Frankfurter Buchmesse

170 Titel vom Kinderbuch über Romane bis zum Wanderführer sollen die Vielfalt der luxemburgischen Literatur und zugleich deren Mittlerrolle zwischen den großen deutschsprachigen und frankophonen Schwestern demonstrieren. Besonders eignet sich dafür das Brevier „Luxemburg. Das einzigartigste Großherzogtum der Welt“ von Susanne Jaspers und Georges Hausemer, erschienen bei capyrababooks.

In Frankfurt erwartet wird auch der Trierer Amerikanistik-Professor Gerd Hurm, der in der Reihe „Lëtzebuerger Biografien“ (Éditions Saint Paul) ein Buch über den Künstler Edward Steichen vorgelegt hat. Hurm geht es mit Verve darum, „endlich das Zerrbild von Steichen zu korrigieren“.

Der im luxemburgischen Béiweng geborene Fotograf, Pflanzenzüchter und Kriegsreporter Steichen kuratierte 1955 im New Yorker Museum of Modern Art die berühmte Fotoausstellung „The Family of Man“. Sie gehört zum Weltgedächtniserbe der Unesco. Dieses in seinem unverstellten Pathos nach wie vor berührende pazifistische Vermächtnis in Schwarz-Weiß hat nun dauerhaft eine Heimat auf Schloss Clervaux gefunden.

Als jüngste literarische Stätte hat am 1. Oktober der Neubau der Nationalbibliothek seine Tore geöffnet. Der Umzug aus der Innenstadt ins Bankenviertel am Kirchberg war umstritten. Der Bau der Münsteraner Architekten Bolles+Wilson verwendet regionales Gestein und ist von einladender Offenheit geprägt – Avantgarde mit Wohlfühlcharakter.

So werden die Besucher des großen Lesesaals nicht von Bücherregalen optisch erschlagen, und die Wegweiser im Haus sind wie Scrabble-Schriften gestaltet: bewegliche, veränderbare Wörter, passend zu Luxemburgs dynamischer Literaturlandschaft.

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