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Mit Faible für Fontane. Der Literaturwissenschaftler Hans Dieter Zimmermann.

© promo

Literaturstadt Berlin: Im Gnadenstrom der Wörter

Zeuge bewegter Zeiten: Der Germanist Hans Dieter Zimmermann blickt zurück auf sein Leben.

Von Gregor Dotzauer

Von seiner Zeit hat er fast immer nur das Beste mitbekommen. Als junger Feuilletonredakteur des „Spandauer Volksblatts“ arbeitete Hans Dieter Zimmermann mit Köpfen wie dem Filmkritiker Ulrich Gregor, dem Theaterkritiker Klaus Voelker und dem Opernkritiker Volker Klotz. Die Jahre der Studentenrebellion verbrachte er als Sekretär der Sektion Literatur an der Akademie der Künste: Walter Höllerer, sein Doktorvater an der Technischen Universität und der große Strippenzieher im Berliner Literaturbetrieb, hatte ihn dort untergebracht.

1975 erhielt er, nach einer Habilitation bei Hans Mayer, einen Ruf an die Frankfurter Goethe-Universität, ehe er 1987 auf der Stelle seines Mentors Höllerer nach Berlin an die TU zurückkehrte. Die Bologna-Reformen konnten ihm nichts mehr anhaben.

Viel mehr Glück kann einem, der zunächst nur Journalist werden wollte, kaum beschieden sein, und Zimmermann wusste stets, etwas daraus zu machen. So begann er an der Akademie der Künste unter anderem, sich für tschechische Dissidenten wie Pavel Kohout einzusetzen. Die Begegnung mit Mitteleuropa wurde nicht durch seine Ehe mit der Pragerin Helena Becková ein Lebensthema: Auch als Mitherausgeber der Tschechischen Bibliothek hat er viel für die Wiederannäherung der Nachbarn getan.

Obwohl seine Wege äußerlich mäßig bewegt erscheinen, waren sie überreich an schriftstellerischen Begegnungen. Zimmermann, 1940 in Bad Kreuznach geboren, ist aus gutem Grund ein gefragter literaturhistorischer Zeuge. Wer sich von seinen selbst zu Papier gebrachten Erinnerungen nun aber ein besonders farbiges Panorama erhofft, wird wenig Neues erfahren.

[Hans Dieter Zimmermann: Ein Rückblick auf 80 Jahre. Und was ich der Gruppe 47 verdanke. Erinnerungen. Wieser Verlag, Klagenfurt 2021.368 Seiten, 21 €.]

Was als private Chronik für seine Kinder und Enkel entstand und dann Einzelporträt um Einzelporträt zu einer hochgradig additiven Kulturgeschichte anwuchs, nähert sich der Vergangenheit aus konsequent mittlerer, alles in ein gnädig milchiges Licht tauchender Distanz. Sie mag allerdings auch dem Bemühen geschuldet sein, sich jahrzehntealte Geschehnisse ohne erkennbaren Rückgriff auf Tagebücher oder andere Notizen zu vergegenwärtigen.

Unvermittelte Frömmigkeit

Vor allem anderweitig gut ausgeleuchtete Gestalten wie Peter Huchel, Hans Mayer oder Peter Szondi wirken blass. Statt Physiognomien zu entwerfen, trägt Zimmermann oft nur Anekdoten zusammen, wann man sich wo noch einmal gesehen hat. Dazu kommt eine seltsam abgeklärte Leidenschaftslosigkeit, die man von Zimmermann sonst nicht kennt. Was sich an universitären Grabenkämpfen abspielte, tut er als „Moden und Ideologien“ ab, als würde es im Methodenkarussell der Literaturwissenschaften nicht Texte geben, die zu bestimmten Perspektiven herausfordern: „Psychoanalytische, marxistische, feministische, strukturalistische, poststrukturalistische, postmoderne, postkoloniale – mein Gott, was habe ich alles schon erlebt.“

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Dafür stößt man auf eine ganz unvermittelte Frömmigkeit: „Die katholische Kirche birgt für den, der darinnen ist, Schätze, von denen der, welcher sie von außen betrachtet, keine Ahnung hat. (...) Die unsichtbare Kirche ist ein Gnadenstrom, der von Jesus bis in jeden Gottesdienst reicht, in Wandlung und Eucharistie.“ Der Lohn der Lektüre liegt in der Summe, die auch weniger bekannten Figuren wie dem Südtiroler Querkopf Franz Tumler, Zimmermanns Akademie-Chef, oder Lenka Reinerová, der letzten Pragerdeutschen Schriftstellerin, eigene Kapitel verschafft. Der Rest ist Staunen: Einen solchen Lebensweg wird es nie mehr geben.

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