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Kultur: Lob der europäischen Stadt

Traufhöhe, Townhouse, Tradition: Senatsbaudirektor Hans Stimmann hinterlässt Berlin nach 15 Jahren Amtszeit in wohlgeordneter Architektur

Berlin verdankt seine baugeschichtliche Bedeutung im 19. und 20. Jahrhundert den großen Lenkern, die es an der Spitze der zuständigen Behörde wiederholt hat erleben dürfen. Die Reihe reicht, neben anderen, von Karl Friedrich Schinkel im frühen 19. Jahrhundert über Martin Wagner in der Weimarer Republik bis zu – ja, bis zu Hans Stimmann, der nach 15 Jahren nur kurzfristig unterbrochener Tätigkeit als Senatsbaudirektor und wenige Monate nach seinem 65. Geburtstag nun mit dem Ende der Legislaturperiode im September in den Ruhestand tritt.

Die Geschichte Berlins spielt bei ihm eine Rolle wie bei keinem seiner Vorgänger im alten West-Berlin. Denn Stimmann war es, der die Stadt an ihre Vergangenheit erinnerte, unbeirrbar von Anfang seiner Tätigkeit an. Das brachte ihm keine Sympathien ein, als er am 10. April 1991 sein Amt antrat – mitten in der Euphorie der Nachwende- und Wiedervereinigungszeit, als die Visionen des „neuen Berlin“ buchstäblich in den Himmel schossen. Alles schien möglich. Ausstellungen wurden veranstaltet, Gedankenspiele publiziert, die aus dem Abstand des Heute nur mehr als Fieberträume gelten können. Damals, 1991, rechnete man hochoffiziell mit dem Anschwellen der Stadt auf fünf Millionen Einwohner und der Rückkehr aller durch den Krieg verlorenen Funktionen. New York wurde zum erklärten Vorbild. Doch gerade da steuerte Stimmann entschieden gegen.

„Ich bin ein mächtiger Mann“, behauptete er bald darauf in einem Interview, ganz im Vollgefühl der Macht, das ihm die Vergabe von Grundstücken und Baugenehmigungen verschaffte. Nie ging Stimmann einem Konflikt aus dem Wege, zog vielmehr die Pfeile der Gegner geradezu lustvoll auf sich. Dass seine Macht nicht so weit reichte, wie er sich und anderen gern glauben machte, steht auf einem anderen Blatt. Heute weiß Stimmann ein Lied von den „anderen Akteuren“ – wie er sie gern nennt – zu singen. Dazu zählen Bundesregierung und Parlament, die im Verlaufe des Hauptstadtumzugs weitreichende stadtpolitische Entscheidungen trafen.

Bald kam der Begriff des „steinernen Berlin“ auf, um Stimmanns unerbittliche Gestaltungsvorgaben zu kennzeichnen und mehr noch zu geißeln: Einhaltung der Baufluchtlinien und damit des überkommenen Stadtgrundrisses, Beschränkung der Traufhöhe auf das Altberliner Maß von 22 Metern, steinerne Fassaden mit stehenden Fenstern, Einteilung der Baufronten in Sockel, Hauptzone und Dachabschluss. Das war für die Protagonisten einer vibrierenden Megacity kaum zu fassen. Stimmann, der Mann aus Lübeck, gelernter Maurer mit Promotion zum Dr.-Ing., blieb eisern oder auch stur, wie man will – und setzte sich meist, wenn auch gewiss nicht immer, durch.

Sein Leitbild hieß stets „die europäische Stadt“. Am Erbe der nach festen Regeln gewachsenen europäischen Stadt, wie unterschiedlich sich diese auch ausgeprägt haben mochte, suchte sich Stimmann zu legitimieren. Die sei’s auch nur noch in Bruchstücken tradierte Geschichte – das „Gedächtnis der Stadt“, wie Stimmann es nennt – wurde zum Leitbild, was den Städtebau anlangt. In der Architektur selbst folgte Stimmann dem von IBA-Direktor Josef Paul Kleihues geprägten Begriff der „kritischen Rekonstruktion“. Gemeint ist, auf die Vergangenheit eines Ortes Rücksicht zu nehmen, sie aber mit den Mitteln von heute zu interpretieren. Musterbeispiel: die von Kleihues geschaffenen Bauten zu beiden Seiten des Brandenburger Tores.

Gegenbeispiel am selben Platz ist das „Hotel Adlon“, das Geschichte vorgaukelt, obwohl es das historische Vorbild missachtet. Überhaupt lassen sich am Pariser Platz Siege und Niederlagen Stimmanns in konzentrierter Form ablesen. Für das Bankgebäude des wilden Frank Gehry setzte er seine Richtlinien durch – die Gehry freilich ironisch hinterging –, beim unmittelbaren Nachbarn der Akademie der Künste gelang es ihm nicht, die verhasste Glasfassade Günter Behnischs zu verhindern. Die steht für die alte Bundesrepublik mit ihrer simplen Gleichung Transparenz gleich Demokratie, woran Stimmann, vom bloß ästhetischen Widerwillen abgesehen, als ausgefuchster Gremien- und Jury-Strippenzieher in seinem Innersten ohnehin nie geglaubt haben dürfte. Den „Adlon“-Bau konnte er baurechtlich nicht verhindern – das zeigt die Grenzen seiner Gestaltungsmacht.

Deren Denkmal erstreckt sich nicht weit entfernt in Gestalt der neu geschaffenen Friedrichstraße vom Bahnhof bis zum Checkpoint Charlie. Hier hatte Stimmann freie Hand – bis heute, wo an der Ecke Unter den Linden das beinahe letzte Grundstück zugebaut wird, allein aus dem eher doktrinären Grund, die einstige Bebauung sei ebenso dicht gewesen.

Stimmanns Zauberformel der frühen Neunzigerjahre war die Koppelung der Grundstücksvergabe an die Befolgung der jeweils ausgeschrieben Architekturwettbewerbe. Er habe versucht, so Stimmann in einem vergangenes Jahr erschienenen Repräsentationsbuch über seine Tätigkeit, „die Nachwendegeschichte Berlins zu steuern“. Punkt. Die Steuerung erfolgte über Jurys, in denen die Preisrichter wechselweise zu Preisträgern wurden und umgekehrt – ein geschlossener Zirkel, der bereits im Herbst 1991 zum ersten Eklat führte, als der selbstbewusste Niederländer Rem Koolhaas aus der Jury zum Potsdamer Platz davonstürmte. Allein die heimischen Niederlande als Bauherr verschafften Koolhaas mit dem Neubau ihrer Botschaft Jahre später einen Auftrag an der Spree.

Viele haben sich über Stimmanns Machtbewusstsein beklagt; manche lauter wie Daniel Libeskind – der freilich mit dem Jüdischen Museum geradezu einen Kultbau der jüngsten Jahrhundertwende schaffen konnte –, manche leiser, die dann doch noch einen Auftrag abbekamen, wenn sie sich nur reumütig genug an die Gestaltungsvorgaben hielten. Dass „kreative Potenziale in der Stadt brachgelegt“ wurden, wie eine Gruppe von Nachwuchsarchitekten behauptet hat, wird man angesichts zahlreicher überraschender Bauideen, die sich im Stadtbild verwirklicht finden, kaum behaupten können – es sei denn, man betrachtet die Stadt als Experimentierfeld, als jene tabula rasa, als die sie die zwei Generationen zwischen Weltkrieg und Stimmann verhunzt hatten, hüben wie drüben.

Denn nirgendwo ist so viel zerstört worden wie in Berlin – nicht allein im Bombenhagel des Zweiten Weltkriegs, sondern bereits zur Zeit des Wilhelminismus, als die vormalige preußische Bescheidenheit in Misskredit geriet und imperiale Größe gesucht wurde, und erst recht nach 1945, als die Abrissbagger in West und Ost gleichermaßen darangingen, mit der überkommenen Stadt aufzuräumen. Gerade dieser nur noch in Bruchstücken und am ehesten noch im Stadtgrundriss aufzufindenen Stadt aber galt Stimmanns Sorge. Er spricht gerne vom „Gedächtnis der Stadt“, das er unermüdlich im Stadtplan zu entziffern suchte.

Stimmanns Welt-, pardon Stadtbild mündete dann 1999, als der Boom längst abgeklungen war und die Klagen über den Büroleerstand anschwollen, ins senatsabgesegnete „Planwerk Innenstadt“. Die Kernbereiche der beiden Halbstädte West- und Ost–Berlin über die Brachflächen der einstigen Grenze miteinander verknüpfend, wollte Stimmann hier den überkommenen Stadtgrundriss wiederherstellen. Es gelang ihm nur an wenigen Stellen – weil die auf Wagner zurückgehende Grundidee, die notwendige Infrastruktur über die Veräußerung landeseigenen Bodens zu finanzieren, am Mangel an Investoren scheiterte. Genauso versandete zuvor die Umbauung des Alexanderplatzes mit Hochhäusern, die derzeit niemand benötigt. Diese Planung hält mittlerweile auch Stimmann für verfehlt, jenen Hoffnungen nach der Wiedervereinigung geschuldet, die in grassierende Immobilienspekulation mündeten.

Aber auch Stimmanns ureigene Anliegen wurden von den so radikal ernüchterten Zukunftsprognosen getroffen. Im Wohnbau, bilanzierte er unlängst, wurden quantitativ fast so viele Wohnungen neu geschaffen, wie heute in Berlin leer stehen. Die großflächigen Neubauvorhaben an der Peripherie der Stadt mussten mehr oder minder vollendet abgebrochen werden, als sich das Land Berlin in seiner Finanznot aus dem Sozialen Wohnungsbau verabschiedete. Die jüngste Planungsvorgabe Stimmanns, mit den „Townhouses“ genannten Innenstadt-Privathäusern rings um den Werderschen Markt gut betuchte Bürger durch Eigentumsbindung ins Zentrum zurückzuholen, ist eine Reaktion auf den tiefgreifenden Wandel der Wohnungsnachfrage.

Auch bei den Verkehrsbauten, für die er sich mit Hingabe engagierte, wechselten Erfolge und Rückschläge. So zählt der Hauptbahnhof zu den glorreichen Erfolgen – ungeachtet der Entstellungen, die ihm Bahnchef Mehdorn insbesondere mit der brachialen Verkürzung des Glasdaches zugefügt hat. Den Hauptbahnhof hat Stimmann in einer Blitzentscheidung durchgesetzt, im Gespräch mit zwei Architekturbüros; die Gunst des Augenblicks nutzend, da die Bahn bereit war, Milliarden in den Verkehrsknotenpunkt Berlin zu investieren. Bei den Regionalbahnhöfen jedoch musste er zurückstecken. Zumal Gesundbrunnen, geradezu als Hommage an die Zwanzigerjahre entworfen, blieb ein bescheidener Torso, weil die Bahn keine Aussicht auf profitable Vermarktung der Flächen sah.

Noch schlimmer erging es Stimmann bei der U-Bahn, deren als „Kanzlerbahn“ geschmähte Linie 5 quer durch die Stadt er mit anspruchsvollen Wettbewerben für die einzelnen Stationen beplante. Doch sein vorgesetzter Senator machte ihm einen Strich durch die Rechnung. Gerade da bewies sich die Loyalität des in der Wolle gefärbten Sozialdemokraten. Nie ließ er sich ein böses Wort über die verantwortlichen SPD-Senatoren entlocken, welche Bocksprünge sie auch machten.

Stimmann erfocht seine Siege vor allem in Mitte. Die Durchsetzung der Vorgabe, zwanzig Prozent der gebauten Flächen für Wohnungen zur Verfügung zu stellen, bewahrt das alt-neue Zentrum vor Entvölkerung. Zwischen Brandenburger Tor und Alex, zwischen Chausseestraße und Checkpoint Charlie ist „Stimmann pur“ zu besichtigen, und das heißt: die Zähmung des schrankenlosen Investorenkalküls.

Doch nicht alles ist Stimmann, was seit der Wiedervereinigung Berlins im Zentrum entstand. Die Hauptstadt mit Parlament, Regierung und Ministerien schuf sich ihre eigenen Orte, da kam der Senatsbaudirektor als Verfahrensbeteiligter kaum noch mit. Man denke nur an die Spontan-Entscheidung des Bundestages, mit seinen Neubauten längs des Reichstages den „Spreesprung“ zu wagen und damit ein suggestives architektonisches „Bild“ seiner Tätigkeit zu schaffen.

Wesentlich beeinflusst hat er freilich die kopernikanische Wende in der Bundesbaupolitik 1994, als nach langem Sträuben die Nutzung brachliegender Bauten aus DDR- und zahlreicher noch aus NS-Zeiten akzeptiert wurde. Lange zuvor hatte Stimmann nachgewiesen, dass der Flächenbedarf der Hauptstadtfunktionen aus der vorhandenen Substanz gedeckt werden könne. So kamen, als die Ansprüche der Noch-Bonner Minister auf realistisches Maß zurückgestutzt waren, selbst Reichsluftfahrtministerium und Reichsbank aus den Dreißigerjahren, die beiden größten Klötze in der alten Mitte, zu frisch polierten Ehren.

Es „brauchte starke Nerven und eine feste Überzeugung davon, was eine europäische Stadt zu sein hat“, erinnert sich Stimmann an die Jahre der Weichenstellungen. Wie nie ein Vorgänger suchte er gleichwohl alle Beteiligten in unzähligen Gesprächsrunden und Workshops einzubinden, eine gremienförmige Quasi-Öffentlichkeit, die dem medialen Bedürfnis entgegenkam, alles zu bereden, vor allem die ungelegten Eier. Derer gab es einige in Stimmanns Amtszeit, man denke nur an die Geschichte vom Schloss, und auch halb bebrütete wie die erwähnten landeseigenen „Entwicklungsgebiete“, bei denen dem Finanzsenator die Puste ausging.

Aber auch da steht Stimmann in der ehrenvollen Tradition eines Schinkel oder Wagner. Berlin hat immer viel geplant und verworfen, und stets war es am Ende das Geld, das die Stadt regierte – „mächtiger Mann“ hin oder her. Aber was ihm innerhalb der so gesteckten Grenzen möglich war, hat Stimmann im Großen und Ganzen erreicht. Wenn das keine Erfolgsbilanz ist – in einer Stadt, für die abrupter Wandel stets kennzeichnender war als gelassene Beständigkeit!

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